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3. Juni 2006 [Bakonysarkany] 1900 Uhr. Zügig zieht seit Stunden eine bleifarbene Wolkendecke über´s Land. Selbst die kleinsten Pfützen spritzen fortwährend auf wie unter dem Einschlag von Meteoriten. An einen Ansitz ist nicht zu denken. Ich wende mich vom Fenster ab, rücke den Sessel an den Kamin und nehme die Lektüre von Sergio Bolognas Thesen zur "Zerstörung der Mittelschichten" wieder auf. Sein unsentimentaler Blick auf den Kapitalismus und sein Sarkasmus gegenüber vulgären Klischees von links und rechts sind mir sympathisch. Um vier Uhr morgens trete ich prüfend vor´s Haus. Bedeckt, aber kein Regen. Wind aus Nordwest, ein Lichtschlitz im Osten. Der Boden ist so tief, dass ich ohne Zögern auf den Landcruiser verzichte. Über die Pferdeweide schlage ich den Weg zum Kleefeld ein. Ich bin bis zur Hüfte durchnässt, als ich den Hochsitz erklimme. Er ist in einem elenden Zustand. In der wahrscheinlichsten Schussrichtung fehlt das Auflagebrett. Dummerweise habe ich den Stock nicht mitgenommen, den ich mir sonst als Auflage zurecht binde. Ich habe das Gefühl, dass ich hier keinen Anlauf haben werde. Nach fünfzehn Minuten wate ich durch den Klee Richtung Roman Les. Ich sehe, dass der Weizen dort mittlerweile kniehoch steht. Das Schmaltier zur Rechten nimmt keine Notiz von mir, als ich den Sitz behutsam besteige. Dann zieht es gemächlich hügelauf in die Mitte des Feldes. Nach einem plötzlichen Entschluss springt es hinauf zum Wald und taucht darin ein. Jeder Anblick läßt Hoffnung aufkeimen. Da fängt es an zu nieseln. Meine Stimmung nähert sich wieder dem Nullpunkt. Ich wische die Tropfen vom Objektiv des Zielfernrohrs und decke es ab. Wenn der Regen stärker wird... holla, kommt etwa das Schmaltier zurück? Nein. Ein Bock sprintet vom Wald herunter ins Feld und zieht zur Dickung, an dessen Rand der Roman Les steht. Hoch hat er auf. Die Stangen sind kaum vereckt, kräftig hingegen ist er im Wildbret. Rote Decke, starker Träger, graues Gesicht. Kein junger Bock. Zirka 120 Meter. Als er verhofft, kracht die .30-06 und ich spüre, dass das Okular mein Nasenbein touchiert hat. Der Schusswinkel war ungünstig im Verhältnis zur Sitzposition, aber zum Herumrutschen war keine Zeit. Der Bock zeichnet, schlägt einen Haken, stürmt über eine Distanz von 50 - 60 Metern auf die Dickung zu und verschwindet darin. Ich bin perplex. Warum bleibt er nicht im Feuer? Bilde ich mir nur ein, gut abgekommen zu sein? Habe ich gefehlt? Schlimmer: habe ich schlecht getroffen? Ich zwinge mich, zehn Minuten zuzuwarten. Den Anschuss im Weizen zu finden, ohne einen Helfer einzuweisen, ist fast aussichtslos. Ich suche daher den Rand der Dickung ab. Wildschweinfährten zuhauf. Da, das könnte der Bock gewesen sein. Der Boden ist nass und dunkel, ich sehe keinen Schweiss. In dieser Dickung habe ich bereits einmal vergeblich nach einem Bock gesucht. Erst am anderen Morgen habe ich ihn aufgefunden, vielmehr: seine Reste. Die Dickung umwuchert ein Rinnsal und fällt steil zum Wasser ab. Die Pfade sind ineinander verschlungen und verlaufen am oberen Rand des tiefliegenden Bachbetts. Wenn der Schuss ins Leben gegangen ist, kann der Bock nicht weit gekommen sein. Aber westwärts in den Pfaden ist nichts zu sehen - kein Schweiß, kein Bock. Einen Hund. Ich brauche einen Hund. Gebückt, von Zweigen und Geäst bedrängt bahne ich mir den Weg zurück zur Stelle, an der der Bock vermutlich eingedrungen ist. Dann werfe ich einen Blick zurück, zum Bachbett. Da liegt er. Kerzengerade hinunter scheint er gestürzt zu sein. Besser kann ein Schuss nicht sitzen. Drei Finger mittig hinterm Blatt, der Ausschuss gerade gegenüber. Vermutlich zu glatt für das harte TUG. Wilde Freude löscht trüben Zweifel. Nach allen Widrigkeiten war dieses Weidmannsheil kaum zu erwarten. Mit einem blühenden Akazienzweig huldige ich meiner Beute. Bei näherer Betrachtung sehe ich, dass der Bock am rechten Licht offenbar blind war: der Augapfel ist stark angeschwollen, vorgewölbt und blau verfärbt mit einem kleinen verwaschenen schwarzen Fleck in der oberen Hälfte - eine Verletzung durch einen Rivalen? Wieder muss die Bergeleine den Landcruiser ersetzen. Meiner guten Laune tut dies keinen Abbruch. Die Krone ist 23 cm hoch. Die schwach ausgeprägten Ecken sorgen für eher geringes Gewicht: 346 Gramm mit Oberkiefer. Die Zahnreihe ist flach, die Kunden des ersten Molaren sind abgeschliffen, aber nicht ganz. Allerdings: das Dentin ist dunkel, also hart. "Fünfjährig", urteilt Franz mit Bestimmtheit.
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