22. Juli 2006

[Bakonysarkany] 2115 Uhr. Ich werde abbaumen. Seit gestern bin ich in verschiedenen Teilen des Reviers angesessen ohne zu Schuss zu kommen. Morgen früh die letzte Chance vor der Heimfahrt.

Nicht, dass ich keinen Anblick gehabt hätte: ein paar Jahrlinge, Schmalrehe, Geißen, Kitze; Rotwild, ein kapitaler Damschaufler im Bast, ein Dachs - aber kein reifer Bock.

Überhaupt: Viel gesessen, wenig geschossen...

Im Trefflinger Revier hab ich seit Mai nur ein Schmalreh erlegt. Was mir danach vor die Büchse gelaufen ist, war entweder zu schwer oder hatte zu hoch auf - nach den Maßstäben des Abschussplans jedenfalls.

Langweilig freilich muss kein Ansitz sein. Auf der Jagd komm ich eher zum Lesen als anderswo.

Begonnen hab ich im Mai mit Novellen aus dem alten China und den "36 Strategemen", die der Sinologe Harro von Senger erläutert. Fortgesetzt hab ich die Ansitz-Lektüre mit Ernst Jünger: zum wiederholten Mal das "Das Abenteuerliche Herz", die "Marmorklippen" und "Eine gefährliche Begegnung". Dann folgten Short Stories von Ray Bradbury.

Auch Brechts "Buch der Wandlungen" hab ich nach vielen Jahren erneut zur Hand genommen. Belehrende Autoren sind mir jedoch fremd geworden. Jetzt steckt eine Anthologie klassischer SF-Stories in meiner Rocktasche.

Literatur ist Literatur. Die Beute des Jägers ersetzt sie nicht. Zwar war ich in Bakonysarkany erfolgreicher als in Treffling. Mein dritter ungarischer Bock aber ist mir heuer bislang versagt geblieben.

Ende Juni ist im Hirsefeld im letzten Büchsenlicht ein Kandidat aufgetaucht, freilich auf rund 350 Meter Entfernung. Ein Risiko-Schuss war dem kapitalen Kronenträger nicht zuzumuten. So ist es bei dem Fuchs geblieben, den ich etwa eine Stunde zuvor erlegt hatte.

Diesmal schien sich alles zum Besten zu fügen: Der Himmel blau, die Luft heiß, der Wind still - ideal für die Brunft, sollte man meinen. Dennoch hab ich nur einen Bock beim Treiben beobachtet. Er ist einer Geiß nachgesprungen, die aus dem Wald in den Mais geflüchtet ist.

Es dunkelt. Bisher ist rundum kein Schuss gefallen, nur die Schussanlage zur Vertreibung der Schweine in Richtung Mor ist zu hören. Vielleicht hab ich morgen...

Was war das? Ich erstarre.

Das Geräusch eines mahlenden Kiefers? Ich spähe durch die Ritzen des Hochstands. Die rauhen Blätter der Sonnenblumen schwanken in der Dämmerung. Da! Eine rote Decke. Ein Reh. Es hebt das Haupt. Der Bock.

Geräuschlos ist er aus dem nahen Wald in unmittelbarer Nähe des Hochstands ausgetreten. Erwartet hatte ich ihn in der Senke unterhalb des Sonnenblumenfelds, rund 140 Meter entfernt.

Ich greife in Zeitlupe nach der Waffe, drehe die Vergrößerung des Zielfernrohrs zurück, gehe in den Anschlag, spanne, steche ein. Wenn ich mich bewege, springt er ab. Vielleicht aber zieht er an der Einstiegsöffnung des Hochstands vorbei.

Nicht zu tief anhalten, das Geschoss schneidet die Visierlinie erst bei 50 Meter, ermahne ich mich. Da erscheint er. Steht breit. Es rumst. Der Bock fährt ab ins Dunkle, bricht durch´s Unterholz, scheint zu stürzen und zu schlegeln, dann ist es ruhig.

Ich krame meine Stirnlampe aus dem Rucksack und steige ab zum Anschuss. Schweiß und Lungengewebe. Er kann nicht weit sein. Im Wald ist es stockfinster. Die Stirnlampe stanzt nur kleine, tanzende Fleckchen aus dem Dunkel. Nach fünf Minuten Umherirren entschließe ich mich, ins Jagdhaus zu fahren und den Handscheinwerfer zu holen.

Fred sitzt bereits bei der Abendjause. Er bestätigt meinen histologischen Befund, hat aber wenig Lust, mich bei der Nachsuche zu begleiten: "Ich hab schon gebraust. Such lieber morgen, wer weiß, ob du ihn jetzt findest".

Ich will ihn aber jetzt finden. Ich fahre zum Anschuss zurück und nehme die Suche wieder auf. Nach wenigen Minuten wird das Licht des Scheinwerfers schwach und erlischt. Der Akku ist leer.

Ich resigniere. Zurück zum Jagdhaus, unter die Brause. Wir leeren noch eine Flasche Messwein und gehen zu Bett.

Gegen 0420 Uhr bin ich beim Hochstand und kann kaum erwarten, dass es hell wird. Meine Zerstreutheit verschafft einem Fuchs Aufschub. Er verschwindet im Feld, bevor ich angelegt habe.

Um 0530 Uhr baume ich ab und folge gebückt dem Pfad durchs Unterholz, den der Bock dem Hören nach genommen hat. Etwa 60 Meter vom Anschuss entfernt liegt das brave Stück. Sauber getroffen. So weit bin ich gestern allerdings nicht gekommen.


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