02. 09. 2015   Nachsuchen  
       

Seit dem Frühjahr betreue ich einen anderen Revierteil in der Gemeindejagd.

Der Jagdleiter hat mir dieses kleine, aber begehrte Gebiet nach dem Tod des bisher betreuenden Jägers angeboten.

Es liegt abseits der Siedlungsgebiete an der Grenze zur benachbarten Gemeindejagd und wird überwiegend von einem Biobauern bewirtschaftet.

Das Gelände ist vergleichsweise steil und durch einen tief liegenden Graben geteilt.

Der nördliche Teil des Reviers ist nur zu Fuß oder mit einem Geländewagen auf den Serpentinen eines nicht asphaltierten Güterwegs zu erreichen.

Eine Fütterung, zwei gut situierte Kanzeln für das Rehwild und eine weitere Kanzel in der Nähe eines Fuchsbaus stehen mir zur Verfügung.

Anfang Mai habe ich ein Schmalreh und einen Jahrling erlegt.

Zwei ansehnliche, mehrjährige Böcke habe ich geschont. Nach den Maßstäben des Jagdverbands sind sie zu jung.

Seit gestern sind Kitze und Altgeißen frei.

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Die aussichtsreichere Kanzel für den Herbstabschuss steht am Rand eines Waldes, vor dem ein Feld nach Nordwesten aufsteigt. Die Grenze des Nachbarreviers ist vom rechten Fenster der Kanzel nur etwa vierzig Meter entfernt.

Die Geiß mit zwei Kitzen, die ich mehrmals beobachtet habe, äst auch am ersten Tag der Schusszeit in einer Entfernung von etwa 150 Metern im Nachbarrevier. Während meiner Ansitze hat sie noch nie herüber gewechselt.

Ich lese die Lebensgeschichte des Ulrich Bräker auf meinem Kindle Voyager und blicke hin und wieder auf. Keine Änderung:

Auch diesmal zieht die Familie nicht in meine Richtung, sondern immer tiefer in das Nachbarrevier.

Es dunkelt. Ich entschließe mich abzubaumen und will die Fenster schließen - da trödelt von links in etwa 50 bis 60 Meter Entfernung ein anderes, ein schwaches Kitz herbei. Dahinter folgt ein zweites in größerem Abstand. Die dazu gehörige Geiß zeigt sich nicht auf dem Feld. Sie zieht vermutlich am Waldrand hinter der uneinsichtigen Biegung herauf.

Ich gehe in den Anschlag.

Das Kitz steht spitz --- schräg --- breit.

Es bleibt im Feuer.

Das zweite Kitz ist irritiert, springt aber nicht ab. Es äugt in die Richtung des liegenden Rehs. Zögerlich kreuzt es mein Blickfeld ganz nah, in etwa zwanzig Metern Entfernung.

Auf den Schuss zeichnet es, sprengt auf die Kanzel zu, taucht rechter Hand in das Unterholz und scheint nach einigen Metern niederzugehen. Das Rascheln des Laubs hört sich zumindest so an.

Wenige Minuten später lege ich am Fuß der Kanzel Jacke, Büchse, Glas und Hut ab. Nur das Messer nehme ich mit beim Abstieg in das steil abfallende Waldgelände. Ein starker Wind kommt auf.

Im dunklen Tann kann ich kaum noch etwas erkennen. Ich stolpere über Reisig und rutsche auf dem abschüssigen Boden mehrmals aus. Das Stück muss doch... es kann unmöglich weiter weg... Nein, bei dieser Dunkelhat hat die Nachsuche ohne starke Lampe und ohne Hund keinen Sinn.

Ich krabble auf allen Vieren zurück zur Kanzel, stelle fest, dass der Wind meinen Hut verblasen hat und wähle die Nummer von E.

Schon fünfzehn Minuten später schwenken die Scheinwerfer von E.s Geändewagen über die Serpentinen. Ich habe mittlerweile das im Feuer gebliebene Kitz aufgebrochen. Gleichzeitig mit E. lange ich beim Abstellplatz meines Wagens ein.

E. öffnet die Heckklappe, leint seinen Münsterländer an und geht mit mir hinauf zur Kanzel. Der Wind bläst heftig. Der Hund scheint Witterung aufzunehmen, obwohl wir keinen Schweiß sehen.

Eine halbe Stunde später, nach mehrmaligem Ansetzen des Hundes und nach Durchleuchtung des Geländes im Umkreis von etwa 50 Metern hat E. mich beinahe überzeugt, das Stück aufgrund der kurzen Distanz unterschossen zu haben. Wir brechen die Suche ab.

Meinen Hut finde ich heute morgen wenige Meter von der Ablage entfernt. Er ist durchnässt. In der Nacht hat es geregnet.

In Schlangenlinien durchsuche ich das Gelände in einer Breite von etwa Hundert Metern von der Kanzel bis zum etwa 40 Meter tiefer verlaufenden Forstweg. Auch den Forstweg schreite ich ab - und entdecke das Kitz ein gutes Stück unterhalb des Weges.

Die Kugel hat die Lunge durchschlagen und beim Austritt aufgrund des steilen Schusswinkels den Bauchraum geöffnet. Pansen und Darmschlingen sind ausgetreten. Das Stück muss die unerwartet große Entfernung mehr fallend als laufend zurückgelegt haben.

Ich fürchte, E. und sein Hund werden sich beim nächsten Treffen den Spott einiger Jagdgenossen gefallen lassen müssen.

 

Horrido!