27. 10. 2018 | Spitz | |||
Hornissen Ein Hornissenstaat ist einjährig. Im Frühjahr erwacht die Hornissen-Königin aus Ihrem Winterschlaf und gründet ihren Staat. Im Laufe des Sommers wächst der Hornissenstaat zu einem stattlichen Volk heran. ... Das Hornissenleben währt nicht lange: Schon im Herbst, wenn die Temperaturen längere Zeit unter 15 Grad fallen, finden die Tiere nur noch wenig Beute, leiden Hunger, bis die Hornissen im Winter irgendwann sterben.
Die begatteten Jungköniginnen suchen sich nun für den Winter einen geschützten Unterschlupf mit geringen Mikroklimaschwankungen, wo sie bis zum nächsten Frühjahr in einer typischen Körperhaltung ruhen. Dieser Zeitraum wird Diapause genannt. Da die Arbeiterinnen nur eine kurze Lebensdauer von drei bis vier Wochen haben, sterben die letzten Anfang November, womit dann auch das letzte Leben im Nest erlischt. Es erfolgt keine Wiederbesiedlung des alten Nestes im nächsten Jahr. Viele Jungköniginnen überstehen den Winter nicht, da sie Pilzinfektionen oder anderen Krankheiten zum Opfer fallen. Außerdem werden sie in der Winterstarre von Vögeln oder anderen Insektenfressern stark dezimiert.
Beim Besteigen einer Kanzel im Vorjahr habe ich nicht bemerkt, dass Hornissen an der vom Zugang her uneinsichtigen Seite unter dem Dachvorsprung mit dem Bau eines Nestes begonnen hatten. Ahnungslos habe ich das Fenster geöffnet und sofort die Flucht ergriffen, als Hornissen hereingeflogen sind und mich attackiert haben. Drei Stiche in den Kopf - mit dem Hut habe ich beim hastigen Abstieg die Angreifer zu verscheuchen gesucht - und zwei Stiche in die rechte Hand habe ich dabei davongetragen. Glücklicherweise bin ich nicht allergisch. Ausgesehen aber habe ich drei Tage lang wie Quasimodo.
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Nach dem ergebnislosen Abendansitz treffen wir uns im Jagdhaus zur Bretteljause. L. s Erfahrungen als Abgeordneter zum Nationalrat leiten das Gespräch immer wieder auf die Politik. Gegen 2200 Uhr geht F. zu Bett. L. und ich fahren noch einmal ins Revier. Es ist sternenklar, der Mond steht hoch und hat erst wenig abgenommen. Vom Abstellplatz des Pick-Ups schlägt L. den Weg zu einem offenen Ansitz östlich davon ein. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung zu einer Kanzel, die ich von früheren Aufenthalten kenne. Die Tür der Kanzel steht offen. Die Nachlässigkeit des letzten Jägers, der hier gesessen ist, befremdet mich. Ich streife den Rucksack ab, stelle die Büchse ins Eck, öffne das geschlossene Fenster an der Vorderfront und greife nach dem Auflagebrettchen, um es zurecht zu rücken. Es scheint stark verschmutzt und dicht bedeckt mit Krümeln oder Schnitzeln, die sich eigenartig anfühlen. Ich mache Licht mit dem Smartphone. Im Winkel über dem Brett hängt von der Decke ein großes Hornissennest, das von Vögeln auf der Suche nach Jungköniginnen und Larven offenbar zerpickt wird. Von den wenigen überlebenden Hornissen im Nest droht zu dieser Jahreszeit keine Gefahr. Ich bleibe in der Kanzel, schiebe mir eine zusammengelegte Decke unter, hänge mir den Muff um und glase das Gelände ab. Gute Sicht nach allen Seiten. Der helle Mond erübrigt jedes Nachtsichtgerät. Nach etwa einer Stunde löst sich ein Schatten aus dem Feld und entpuppt sich beim Näherkommen als guter --- nein --- als sehr guter Bock. Doch der ist tabu. Frei sind nur weibliche Rehe sowie Rot-, Dam- und Schwarzwild beiderlei Geschlechts. Vom Freiwild freilich ist auch in den nächsten Stunden nichts zu sehen. Ist es gar zu hell? Gegen 0130 Uhr schlägt L. per SMS vor, den Ansitz abzubrechen, was wir auch tun.
Am nächsten Morgen wähle ich den offenen Ansitz am Rand eines Feldes, das zwischen zwei Waldstreifen liegt. Der Himmel ist bedeckt, die Sicht schlecht. Kaum habe ich den Sitz erklommen, zieht knapp zur linken Hand ein Stück aus. Nur aufgrund der großen Nähe kann ich es als Rehbock ansprechen. Nach wenigen Sekunden verschwindet er im Dunkel. Im Morgengrauen taucht im Feld rechts von mir in etwa Hundert Meter Entfernung ein Schatten auf. Derselbe Bock? --- Ein anderes Reh? --- Nein --- Größer --- Rot- oder Damwild? Kalb, Tier, Hirsch? Ein Rothirschspießer. Er zieht auf den Wald zu. Ich habe Mühe, ihn ins Visier zu bekommen. Jetzt hält er inne, steht spitz. Als der Schuss bricht, springt etwas ab. Gefehlt? Das kann doch nicht sein. Ich greife nach dem Glas. Am Anschuss vermeine ich die helle Bauchdecke des Spießers zu sehen. Ich nehme einen Baumwipfel zur Orientierung, packe zusammen, baume ab und gehe stracks auf den Anschuss zu. Ich habe mich nicht getäuscht. Abgesprungen ist offenbar ein zweites Stück, das dem Spießer gefolgt ist, im Visier aber nicht zu sehen war. |
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Horrido! |
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