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Der Überfall
Die meisten Journalisten und Politiker sind ohne Sprachgewissen und eine ärgere Gewissenlosigkeit gibt es nicht |
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6/2/99
British Defense Secretary George Robertson said all of NATO's civilian strikes were accidental, "and every one of them is regretted" [CNN].
Über 30.000 Einsätze haben NATO-Bomber in 70 Tagen gegen 11 Millionen yugoslawische Bürger geflogen. Um die Heuchelei des britischen Kriegsministers als Beleidigung des gesunden Menschenverstandes zurückzuweisen, bedarf es keines besonderen Scharfsinns.
Wahr und falsch auseinanderzuhalten scheint so einfach:
"Der aber denkt wahr, der das Getrennte für getrennt und das Zusammengesetzte für zusammengesetzt hält; der aber falsch, dessen Gedanken sich entgegengesetzt verhalten als die Dinge" [ARISTOTELES, Logik].
Viele aber glauben den Lügen der Mächtigen mehr als dem eigenen Urteil. Denn ob Nachrichten über komplexe Sachverhalte und ferne Ereignisse sich wie die Dinge selbst verhalten, können wir nur glauben oder bezweifeln. Wir gründen unser Urteil darüber zum geringsten auf eigene Erfahrung, sondern auf fremde Urteile, die uns schlüssig und glaubwürdig erscheinen.
Gedanken machen sich viele und wer will, kann auch versuchen, sie als Nachrichten in die Welt zu setzen. Nachrichten zu verbreiten oder zu unterdrücken aber gibt Macht und ist daher das Monopol der Mächtigen. Im Westen formen sie das öffentliche Bewußtsein selten über plumpe Zensur, sondern meist indirekt über die Personalpolitik in den von ihnen kontrollierten Medien.
Medien, die sich ihrer Kontrolle entziehen, behandeln sie weniger subtil: die NATO bombardiert seit Wochen Sendeanlagen und Redaktionen in Yugoslawien, beschießt "irrtümlich" einen Journalistenkonvoi im Kosovo, sperrt dem yugoslawischen Fernsehen die Satellitenübertragung...
Nach den Nazis und den Kommunisten erhebt die NATO nun totalitären Anspruch auf Moral, Recht und Wahrheit in der Welt. Moral, Recht und Wahrheit aber sind keine Güter, die jemand besitzen kann. Sie müssen zwischen den Menschen gesucht werden.
5/30/99
"EUTELSAT, whose headquarters are in Paris and which rallies 47 countries, on Wednesday decided to stop the satellite retransmission of RTS programs, although RTS is one of its founders" (SERBIA-INFO).
Die NATO bereitet "Phase Drei" ihres Bombardements vor:
"Phase Three would involve an even broader range of strategic targets throughout Yugoslavia...For some Nato countries, moving to Phase Three could be a tough decision" (BBC).
"A broader range of strategic targets"...ja, da zögert sogar manche NATO-Regierung auf dem Kontinent. Auf jeden Fall unerwünscht ist dabei das serbische Fernsehen. Bilder von zerbombten Kraftwerken, Wohnvierteln und Spitälern, Bilder von Zivilisten, die von der NATO terrorisiert und getötet werden, könnten das NATO-Volk irritieren.
Die NATO-Lohnschreiber faseln weiter von der moralischen Überlegenheit des Aggressors. Man braucht schon einen guten Magen, um das Zeug zu lesen.
Kein Zufall, daß Briten und Amerikaner die entschlossensten Bomben-Terroristen sind. Sie identifizieren sich nicht mit dem Kontinent. Es fällt ihnen leicht, Krieg gegen Europa zu führen.
5/27/99
"The International Criminal Tribunal for former Yugoslavia has indicted Yugoslav President Slobodan Milosevic for war crimes and his arrest warrant has already been signed" (BBC).
Die NATO beschuldigt den Präsidenten eines von ihr angegriffenen Landes, ein Kriegsverbrecher zu sein. Ein Marionetten-Tribunal unter UNO-Flagge erhebt Anklage. Der Aggressor zerbombt mittlerweile die Lebensgrundlagen von 11 Millionen Menschen, bricht fortlaufend das Völkerrecht, verletzt die UNO-Charta und hat seine eigenen Statuten nachträglich seinem Angriffskrieg angepaßt. Diese juristische Groteske nimmt die "internationale Gemeinschaft" ohne Widerspruch hin? Ist die Unverfrorenheit der NATO Ausdruck der Stärke ("Ich bin das Gesetz!") oder des Hochmuts, der vor dem Fall kommt?
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Was ist Wahrheit? Auch mithilfe des Internets ist es schwer, Gerüchte von Fakten und Propaganda von Nachrichten zu unterscheiden. Nimmt man bosnische Erfahrungen zum Maßstab, gilt für den Wahrheitsgehalt von NATO-Informationen über serbische Greuel wohl die 5-Prozent-Regel:
Yet despite claims that more than 50,000 Muslim women were raped by Serbs in Bosnia, a 1993 United Nations commission scaled down to 2,400 victims - including Serbs and Croats - based on 119 documented cases. (Quelle: Philip Hammond, senior lecturer in media at South Bank University).
5/24/99
Die Verbrechen der NATO für die Menschlichkeit nehmen monströse Ausmaße an. Die Politiker werden schweigsamer, die Militärs lauter.
General Clark gibt bekannt, daß die NATO ihre Bombenziele "erweitert" und "vertieft" hat. Schon ist die Strom- und Wasserversorgung in Yugoslawien weitgehend zusammengebrochen.
Die Verantwortung für die Verwüstung des Balkans und für die Zerrüttung internationalen Rechts freilich tragen nicht Generale, sondern die derzeit mächtigsten Regierungschefs der Welt: Clinton, Blair, Jospin, Schröder.
Noch vor wenigen Monaten war ich der Meinung, daß Politiker, die sich Sozialdemokraten nennen, einen "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz" wollen. Einen imperialistischen Angriffskrieg habe ich ihnen nicht zugetraut. Großer Irrtum. Seit zwei Monaten terrorisieren die sozialdemokratischen Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands im Schulterschluß mit den US-Demokraten 11 Millionen Menschen mit Bomben und Raketen.
Auch der neue, sozialdemokratische Bundespräsident Deutschlands, Johannes Rau, billigt den Bombenkrieg, allerdings mit "zerrissenem Herzen". Rührend. Ja, es sind eben sozialdemokratische, humanitäre Bomben, die Yugoslawien verwüsten, und Bruder Johannes gibt seinen Segen dazu.
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Die "Washington Post" berichtet heute über Aussagen des Kommandanten des Luftkrieges gegen Yugoslawien, Air Force Lt. Gen. Michael Short:
Short said the firepower at his disposal is focused on annihilating the Yugoslav Third Army inside Kosovo...
..."If you are getting pounded by B-1s and B-52s and A-10s are chasing you every day, and if you know that every time you move you are liable to be hit, at some point your spirit will break, particularly if you are not getting any help from Belgrade," Short said...
..."I don't have a good feel for knowing how close they are to breaking, but I'll tell you that if we do this for two more months, we will either kill this army in Kosovo or send it on the run"...
...Short is confident he will be able to defy history by defeating an indigenous army with air power alone within the next few weeks.
Der berufliche Ehrgeiz des Bombenkillers, mit der Vernichtung der Dritten Yugoslawischen Armee aus der Luft in die Kriegsgeschichte einzugehen, ist angesichts seiner Befehlslage nicht verwerflich. Mit den offiziellen humanitären Kriegszielen der NATO hat diese Strategie freilich nicht das geringste zu tun, wie aus einem Bericht des BBC-Korrespondenten Jacky Rowland aus dem Kosovo hervorgeht:
"Nato and its seemingly arbitrary attacks could now present the bigger danger to the Kosovo Albanians."
Den NATO-Führern aber sind die Kosovaren so egal wie die Serben. Die NATO will die Kapitulation Yugoslawiens, sonst nichts. Selbst das leidensgeübte Volk der Serben wird vor dieser Übermacht kapitulieren müssen. Ein militärischer Sieg der NATO scheint nahe, aber Freude an ihrem Protektorat wird sie schwerlich finden.
5/22/99
In seinem Brief an Clinton vom 10. 5. 1999 zitiert Milosh D. Milenkovich vom amerikanischen Serbian Unity Congress eine Bemerkung des südkoreanischen Außenministers Hong Soon-Young über die NATO-Kampagne gegen Yugoslawien: "The United States cannot lead with power alone. It must also have moral authority."
Mehr Moral als die NATO-Führer hat bisher wohl kaum ein Aggressor gepredigt. Moralische Autorität aber erwirbt man nicht durch Heuchelei.
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In meine kleine Hall of Fame der Intellektuellen nehme ich neben Peter Handke, Harold Pinter, Noam Chomsky, György Konrad, Regis Debray und einigen anderen auch Wolfgang Beutin, Karlheinz Deschner und Hans Wollschläger auf. Sie klagen die deutsche Regierung öffentlich des Rechtsbruchs an. Sie belegen die fatale Kontinuität der deutschen Balkanpolitik von Wilhelm II über Adolf Hitler bis Gerhard Schröder. Sie fordern ein Ende des Angriffskriegs und den Rücktritt Schröders.
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Im "Independent" lese ich heute: "It is often said that air power alone has never succeeded in winning a war, but like most hyperbole this is not strictly true. The most famous bombing campaign in history - the fire-bombing of Japanese cities in the Second World War, followed by the nuclear bombs over Hiroshima and Nagasaki - resulted in the capitulation of the Japanese Emperor. Harry Truman's objective, like that of Bill Clinton now, was to avoid a lengthy land invasion that would have been extremely costly in America lives."
Ja, dieser Krieg ist kein Krieg der Falken, sondern ein Krieg der Tauben: Die NATO-Führer sind als Sozialdemokraten, Grüne und Liberale große Menschenfreunde. Sie verzichten auf Atomschläge und auf die Gefährdung ihrer Bodentruppen. Sie bombardieren Yugoslawien geduldig, ohne Einspruch der UNO und unter dem Wohlwollen der "internationalen Gemeinschaft". Erst wenn sie die Wirtschaft zerstört, das Land verwüstet und das Volk zermürbt haben, rücken NATO-Friedenstruppen ein, befreien die Yugoslawen vom Joch einer eigenen Regierung und schützen sie vor künftiger Torheit durch ein Protektorat. Ja, so sanft sind Tauben.
Mir sind Falken lieber.
5/20/99
Heute gibt der STANDARD Harold Pinter Raum: "Bomben und Macht. Das nennt sich moralische Autorität" verurteilt der 69jährige britische Schriftsteller den Überfall der NATO als eine "Aktion von Banditen, ausgeführt, ohne die Folgen ernsthaft zu bedenken..."
ARD berichtet ausführlich und kritisch in Bild und Ton über die Zerstörung eines Krankenhauses in Belgrad durch die NATO. Der ORF weiß, daß im Kosovo unzählige Massaker auf Befehl von Milosevic stattfinden, ein Krankenhaus in Belgrad hingegen "soll" nach "serbischen Angaben" getroffen worden sein. Dann hat der ehemalige ORF-Direktor und Altbürgermeister Zilk seinen täglichen Auftritt und versteigert Bilder von ÖGB-Mitgliedern für "Nachbar in Not".
5/19/99
Die NATO übertönt ihr Scheitern durch Bomben und Yugoslawien wird seines Widerstands nicht froh. Dieser Krieg kennt nur Verlierer: Kosovaren, Serben, Mazedonier, Albaner, Europa, die NATO, die UNO...
Manche meinen, die UNO werde gestärkt aus diesem Konflikt hervorgehen. Die NATO aber will nur eine heiße Kartoffel los werden und braucht dazu die UNO. Als braver Lakai gehorcht Herr Annan und wartet auf sein Stichwort.
Milosevics vor ein Tribunal? Dann bitte auch die Herren Blair, Clinton, Schröder und Komplizen...
5/17/99
In den USA treten nicht nur systemkritische Intellektuelle wie Noam Chomsky gegen den Bombenkrieg der NATO auf. Auch hochrangige Vertreter des politischen Establishments wie Ex-Justizminister Ramsey Clark und die ehemaligen Außenminister Alexander Haig und Henry Kissinger kritisieren das NATO-Desaster auf dem Balkan. Die Sender des NATO-Staates Deutschland berichten differenziert und kritisch über den Krieg.
Mit dem Staatsfernsehen des neutralen Österreich hingegen hätte der militante Tugendbold und Medien-Manipulator Tony Blair seine helle Freude: Die Kampagne "Nachbar in Not" ist - wie schon im Bosnien-Krieg - fester Bestandteil des ORF-Infowars. Stündlich führt der ORF das Leid nicht-serbischer Flüchtlinge und Vertriebener vor und peitscht die Emotionen hoch. Wer da noch zweifelt, daß Serbien sterbien muß, ist ein Kumpan von Mördern und Verbrechern.
5/16/99
"Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark hat bekräftigt, daß die Allianz ihre Bombardierungen trotz der Gefahr für Zivilisten weiter intensivieren werde. Er sei sich bewußt, daß die Serben Kosovo-Albaner als menschliche Schutzschilde mißbrauchten. Die Nato hatte gestern eingeräumt, das Dorf Korisa bombardiert zu haben, wobei nach serbischen Angaben mindestens 87 Menschen getötet wurden" (APA 16. 5. 1999).
Je länger ihr Bombenkrieg dauert, je mehr Menschen die NATO tötet, je gründlicher sie die Infrastruktur von Millionen Menschen vernichtet, je offensichtlicher also die Handlungen der NATO den Absichtserklärungen ihrer Politiker Hohn sprechen, umso absurder müssen ihre Versuche werden, Realität und Realitätsdarstellung in Einklang zu bringen. Viel Kritikfähigkeit gehört nicht mehr dazu, die Heuchelei ihres humanitären Tremolos wahrzunehmen. Aber die NATO bombt weiter und die Verantwortlichen erhalten weiter Flankenschutz durch die Massenmedien.
5/14/99
"Österreich hat keinen Politiker vom internationalen Format eines Joschka Fischer, mit dem moralischen Mut, der Gestaltungskraft und der Rhetorik, wie er sie jetzt am "Kriegsparteitag" der Grünen zeigte. Wenn aber Österreich internationale Geltung hat, dann auf dem Gebiet der Kultur. Umso deprimierender, den progressiven moralischen Zerfall eines Peter Handke registrieren zu müssen" (Hans Rauscher, DER STANDARD, 14. 5. 1999)
Muß ein Rabauke und Agitator nur die Seite wechseln, um als Politiker von internationalem Format gepriesen zu werden?
Wer die Brücken, Eisenbahnlinien, Flughäfen, Fabriken, Kraftwerke, Fernsehstudios, Wohngebäude, Krankenhäuser und Verwaltungseinrichtungen von 11 Millionen Menschen systematisch zerstört, wer dabei Cluster-Bomben, Uran-Munition und Graphit-Bomben einsetzt, wer aus Scharmützeln zwischen bewaffneten Separatisten und einer regulären Armee ein humanitäres, ökologisches, ökonomisches und weltpolitisches Desaster gemacht hat - der zeigt "moralischen Mut" und "Gestaltungskraft"? Fordert Peter Handke hingegen die Einstellung der Bombardements und Gerechtigkeit für Serbien, dann ist das Ausdruck seines progressiven moralischen Zerfalls?
NATO-Neusprech. Die Umwertung der Werte im Dienste einer menschenverachtenden Politik. Glaubt R. als professioneller Texter, was er schreibt?
Die Rechtfertigung der NATO für bare Münze zu nehmen ist allenfalls Herrn Müller und Frau Maier zuzugestehen. Sie nehmen in der Hektik ihres Alltags von den Motiven, Zielen und Effekten des NATO-Überfalls auf Yugoslawien nur wahr, was ihnen die Medien im Dienst der Mächtigen dazu eintrichtern.
Von Intellektuellen hingegen ist geschärfte Wahrnehmung, rücksichtslose Urteilskraft und damit Mut zur Konfrontation gefordert. Freilich - einträglich und bequem ist das nicht. Die intellektuelle Bedienung der Politik ist viel dankbarer: sie gefährdet weder die Karriere noch das öffentliche Ansehen, ganz im Gegenteil. Nur ein stilles Gut muß der politische Lohnschreiber gegen Zynismus oder Verdrängung abtauschen: seine intellektuelle Redlichkeit.
5/13/99
ORF ON 13. 5. 1999:
"Die NATO bietet in der achten Woche des Kosovo-Krieges eine fast dreimal so starke Streitmacht auf wie zu Beginn der Luftangriffe auf Jugoslawien. Mehr als eintausend Flugzeuge fliegen fast pausenlos Einsätze gegen Belgrad. In Albanien und Mazedonien stehen rund 26.000 alliierte Soldaten, von denen die meisten als Flüchtlingshelfer aktiv sind. Im Mittelmeer kreuzen drei Flugzeugträger sowie mit Marschflugkörpern bestückte Unterseeboote. 22 Apache-Kampfhubschrauber stehen zur Verfügung, um von Albanien aus serbische Soldaten und Polizisten im Kosovo anzugreifen."
Die NATO hat seit Beginn ihrer Aggression verschiedene Kriegsziele deklariert: zunächst die Durchsetzung des Diktats von Paris, dann - welch absurde Wendung - die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen, deren Flucht und Vertreibung erst Resultat ihres Angriffs war. Zuweilen fordern NATO-Sprecher auch, daß Milosevics "weg" müsse.
Bisher hat die NATO kein deklariertes Kriegsziel erreicht (BBC frägt heute: "Fifty days on - how credible is Nato?"). Nun scheint der mächtigste Gewaltapparat der Geschichte seine abschreckende Reputation durch die Verwüstung Yugoslawiens retten zu wollen. Diesen erbärmlichen Erfolg kann ihm niemand verwehren. Politisch und moralisch aber hat die NATO schon verloren - "und sie weiß es", um einen Ausspruch Wesley Clarks zu gebrauchen.
5/11/99
Keine Spur von De-Eskalation, im Gegenteil: Die NATO will das Bombardement intensivieren und auch von Ungarn und der Türkei aus Angriffe fliegen. Die NATO-Medien flankieren die Barbarei im Namen der Humanität nach wie vor mit schönen Worten.
Darüber mag man verbittert sein, aber wundern darf man sich nicht: die Legitimierung der Macht gehört zum Geschäft der Massenmedien. Viel schändlicher ist die Billigung der Bomben durch die Intellektuellen. Sie schweigen. Peter Handke, von NATO-Medien seit Jahren in offenbar abschreckender Weise geächtet, ist allein geblieben. Nur da und dort meldet die intellektuelle Elite Europas sich mit leiser Kritik zu Wort: "...dass Menschen, die von Berufs wegen denken, dennoch Bombenanhänger geworden sind, darüber wundern wir uns für gewöhnlich" (GYÖRGY KONRAD, Berlin, 8. 5. 1999)
Laut und unmißverständlich hingegen äußern sich US-amerikanische Intellektuelle. Zur Ehre der USA sind Amerikaner auch in der Kritik an der NATO-Aggression führend:
We are Jewish Americans who are deeply concerned that the memory and tragedy of the Holocaust is being invoked in order to justify an unjust bombing campaign against the civilian population of Yugoslavia. Many of us have friends who lost family members in the Holocaust, or have lost relatives ourselves. We are deeply aware of our own history and the need for the world community to intervene in situations where there is a threat of genocide, in order to prevent it. However, this is clearly not what is happening in Yugoslavia today.
We do not believe that our government's war against Yugoslavia is motivated by humanitarian concerns. This is evidenced by their refusal to airlift food and water to desperate refugees within Kosovo, as well as the paltry sums
allocated for refugee relief as compared to the billions of dollars spent on the bombing. The Clinton Administration's great reluctance to pursue a negotiated solution to the conflict also indicates that this intervention is mainly about power: showing the world that the United States (and NATO, which it largely controls) is the self- appointed international policeman, and stands above international law and the United Nations. They are waging their war against civilians, destroying the Yugoslav economy and killing hundreds of innocent people, in order to demonstrate and consolidate their power.
Many supporters of the bombing have drawn analogies to the Holocaust, arguing that the world cannot simply stand by in the face of ethnic cleansing in Kosovo. But the bombing has greatly worsened the situation of the Kosovar
Albanians, as is now universally recognized. It has also destroyed the pro-democracy movement within Yugoslavia, and is destabilizing neighboring countries.
We urge you to reject these false and exaggerated analogies to the Holocaust and World War II, which are being used to garner support for a bombing campaign that is intensifying the suffering of all nationalities in Yugoslavia. We appeal to the Green Party of Germany to oppose this war, and to support a negotiated solution of the conflict.
NOAM CHOMSKY Institute Professor of Linguistics Massachusetts Institute of Technology
EDWARD S. HERMAN Professor Emeritus, Wharton School, University of Pennsylvania
MARK WEISBROT Research Director, Preamble Center
DEAN BAKER Senior Research Fellow, Preamble Center
ROBERT NAIMAN Research Associate, Preamble Center
Note: The above letter could make a difference in helping to stop the bombing of Yugoslavia. We have just 6 days to gather signatures and deliver it to the Green Party of Germany, which is meeting on Thursday, May 13. Many Green
Party members are very angry about their party's support of bombing, and if the conference votes to oppose the bombing, the ruling Social Democratic-Green Party alliance will be under tremendous pressure to change its policies or risk the collapse of its coalition government. We are circulating this letter from American Jews because in Germany (as in the US), many liberal and progressive people are being told that those who oppose the bombing of Yugoslavia are committing the same mistake as those who failed to intervene in the events leading up to the Holocaust.
We disagree strongly, as explained below. Please circulate this letter as widely and rapidly as you can, especially through e-mail and web sites. To sign on, simply return your name, and any title or organizational affiliation (it will be made clear that this is for identification only) to: naimanr@preamble.org
5/9/99
TANJUG-MOSCOW, May 9. 1999
Ethnic Albanian leader Ibrahim Rugova has unambiguously spoken in favor of Kosovo-Metohija's autonomy within the Federal Republic of Yugoslavia, Russian president's special envoy on Yugoslavia Viktor Chernomyrdin has told Russian reporters. Following a talk with Rugova in Bonn late Saturday, Chernomyrdin said that Rugova had upheld a demand for the return of refugees to their homes in Kosovo-Metohija as soon as possible, under the protection of an international peacekeeping contingent.
He added that Rugova had also spoken for disarming the ethnic Albanian terrorist organization calling itself the Kosovo Liberation Army (KLA).
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"It should be noted that both Russia and (Yugoslav President) Slobodan Milosevic also agree with demands for self-government in Kosovo-Metohija and for placing international peacekeepers there. Now it's time to specify this," he said.
Rugova kommt der NATO nur gelegen, wenn sie an ihrem Erfolg zweifelt und aus dem Krieg aussteigen will. Andernfalls wird sie die Demontierung Rugovas betreiben. Anzeichen dafür hat es gegeben: Sie hat sein Verhalten bisher stets als erzwungen dargestellt und sich so davon distanziert. Nun muß die NATO Farbe bekennen: Rugova oder die UCK. Im zweiten Fall wird der Krieg zum Inferno.
5/8/99
Von Tag zu Tag erkennen mehr Menschen: Der Bombenkrieg ist keine Strategie zur Auslöschung, sondern zur Ausbreitung der Barbarei. Dieser verheerende Krieg im Namen der Menschenrechte ist selbst zutiefst unmenschlich. Fanatisch-selbstgerechte Politiker, die ihre Tugendhaftigkeit so aufdringlich vor sich hertragen wie Tony Blair, bringen mehr Unglück über die Menschen, als die von ihnen verfolgten "Barbaren".
Der Unterschied: Missionare verüben ihre Verbrechen unter dem Mantel der Moral.
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Der Versuch der NATO, sich faktisch und moralisch an die Stelle der UNO zu setzen, scheint zu scheitern. Je länger, erfolgloser aber verheerender ihre Bombardements sind, umso stärker treten die zunächst geschockten Gegenkräfte hervor. Die usurpatorischen Ambitionen der NATO scheinen selbst in ihrem Kernland keine Mehrheit zu haben. Bei CNN Interactive stimmen jedenfalls 62 Prozent dafür, daß die NATO als Problemlöser im Kosovo-Krieg zugunsten der UNO beiseite tritt.
5/3/99
Die Verteidigung ist "die stärkere Form des Kriegführens" - Clausewitz wäre vom bisherigen Kriegsverlauf nicht überrascht. Am desaströsen Mißerfolg des Bomben-Kriegs wird jedenfalls klar, daß dieser dilettantische Krieg nur die Fortsetzung einer dilettantischen Politik ist.
Clinton, Blair, Solana, Cook, Scharping etc. haben weder die mäßigende Vernunft von UNO-Gremien beachtet noch auf ihre Fachleute für Gewalt, die Militärs, gehört. Leichtfertig und halbherzig zugleich haben die moralisierenden NATO-68iger den größten Gewaltapparat der Weltgeschichte gegen ein kleines Land mobilisiert. Sie verwüsten den Balkan, sie pauperisieren und verbittern Millionen, sie schaden Europa - und setzen ihre Maximalforderungen dennoch nicht durch. Ihr Resultat: Aus einem regionalen, politisch lösbaren Konflikt haben sie ein Desaster gemacht. Sie sollten zurücktreten und Profis wie Henry Kissinger an die Aufarbeitung des Scherbenhaufens lassen, den sie angerichtet haben.
5/2/99
Der Vorsitzende des Zentralrates der deutschen Juden hat in Bezug auf den serbischen Präsidenten die Frage des "Tyrannenmordes" in die öffentliche Diskussion geworfen. Die NATO hat schon versucht, Milosevic zu töten, sie hat seine Residenzen bombardiert. Wer hat keine Scheu, Mordpläne moralisch zu rechtfertigen? Wer von der Makellosigkeit der eigenen Seele und von der abgründigen Schlechtigkeit des anderen überzeugt ist, selbstgerechte Pharisäer also.
Abgesehen von der moralischen Befremdlichkeit ist der Lösungsansatz "Tyrannenmord" aber auch ein Indiz für die vorherrschende, haarsträubend oberflächliche Sicht des Balkanproblems. Kann ein politisch urteilsfähiger Mensch annehmen, daß die Ermordung des yugoslawischen Präsidenten die Harmonie auf dem Balkan befördern wird? Für den weitaus größten Teil der Probleme in der Region ist es völlig unerheblich, ob der Präsident Milosevic oder Djindjic oder sonstwie heißt. Zudem sind weitaus bedenklichere Besetzungen dieser Funktion vorstellbar, Seselj zum Beispiel.
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Allmählich werden im Westen Stimmen vernehmbar, die vorsichtig für einen Waffenstillstand und für Verhandlungen eintreten. Ob die NATO noch von ihrem Roß kann? Gibt es bereits NATO-Analysten, die einen größeren Schaden für die Allianz veranschlagen, wenn sie den Bombenkrieg fortsetzt statt ihre Forderungen möglichst unauffällig zu flexibilisieren und auf eine De-Eskalierung einzugehen?
5/1/99
[TELEPOLIS] Ivo Skoric 01.05.99:
"Wieviele Bombenangriffe der USA haben die
Attackierten bekehrt?
Im Folgenden eine Liste der Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA bombardiert wurden. Die Liste wurde von dem Geschichtswissenschaftler William Blum zusammengestellt.
* China 1945-46
* Korea 1950-53
* China 1950-53
* Guatemala 1954
* Indonesia 1958
* Cuba 1959-60
* Guatemala 1960
* Congo 1964
* Peru 1965
* Laos 1964-73
* Vietnam 1961-73
* Cambodia 1969-70
* Guatemala 1967-69
* Grenada 1983
* Libya 1986
* El Salvador 1980s
* Nicaragua 1980s
* Panama 1989
* Iraq 1991-99
* Bosnia 1995
* Sudan 1998
* Afghanistan 1998
* Yugoslavia 1999
Wieviele von diesen Vorfällen führten zu einer demokratischen Regierung, die die Menschenrechte beachtet?
* 0
* 2
* 3
* 1
* 5
* 11
Wenn Sie wollen, tragen Sie ihre Schätzung im Forum ein oder wenden Sie sich an Ivo Skoric , um gleich die richtige Antwort zu erhalten."
Ausgezeichnete Idee, die erzieherischen Effekte von US-Bombardements anhand dieser ernüchternden Liste in Erinnerung zu rufen. - Nur ein Einwand: die angeführten Staaten wurden meist nicht bombardiert, um ihre staatliche Existenz auszulöschen oder um sie zu demokratisieren. In vielen Fällen waren/sind Bomben nur Teil sogenannter "Strafaktionen". Im Unterschied dazu soll Yugoslawien offenbar aus der politischen Landschaft verschwinden. Das Ultimatum von Paris und der ungeheure NATO-Einsatz sind mir anders nicht erklärlich. Es scheint lediglich massive, sehr dilettantische Fehleinschätzungen über die Realisierbarkeit dieses Zieles gegeben zu haben.
4/30/99
Mein erstes Email an Hans Rauscher (DER STANDARD) vom 30. 4. 1999:
Befällt Sie, sehr geehrter Herr Rauscher, nie der geringste Zweifel, wenn Sie die Beseitigung der "Bedrohung, die das Milosevic-Regime für den Frieden in Europa bedeutet" zum Preis eines humanitären, ökologischen, ökonomischen und weltpolitischen Desasters unbeirrt öffentlich schönreden?
Sie nehmen die grotesken NATO-68iger als Staatsmänner ernst? Diese arroganten Dilettanten? Diese erbärmlichen Feldherrn? Sie verwüsten Yugoslawien angeblich aus rein humanitären Motiven. Lassen Sie uns den Erfolg ihrer originellen humanitären Offensive an den Resultaten überprüfen --- fällt die bisherige Human-Bilanz der NATO-Angriffe positiv aus? JA?! Verstehe, Ihr Maßstab ist nicht das humanitäre Faktum, sondern die humanitäre Idee ! Die NATO ist die jüngste Inkarnation des Weltgeistes und Kirchgänger Tony Blair der neue Churchill... ging nicht zuletzt Josef Goebbels in den totalen Krieg "wie in einen Gottesdienst"?
Ich vermute, Sie stellen sich die bedingungslose Kapitulation
Yugoslawiens ungefähr so vor: Glückliche Serben stehen Spalier, Kinder begrüßen die NATO-Befreier mit Fähnchen. Es sind Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen als eine devastierte Umwelt und eine, sagen wir, 30jährige NATO-Besatzung. Ja, ein Protektorat werden diese Barbaren wohl brauchen, damit ihre Empörung und Verbitterung sie nicht auf dumme Ideen bringt.
Wie starrköpfig sie sind! Sie lassen uns keine Wahl: wir müssen sie empor ins Reich der Edelmenschen bomben!
Seine Antwort vom 4. 5. 1999:
Sehr geehrter Herr Obrovski,
danke für Ihre kleine Polemik zu meiner Kosovo-Kommentierung.
Lassen Sie mich gegenfragen: Befällt Sie nur der Schrecken über die Verheerungen in Jugoslawien durch die Bombenangriffe und nicht über die Massenmorde, Massenvergewaltigungen, Massenvertreibungen ? In Ihrem Kommentar ist - wie bei fast allen anderen Gegnern des Eingreifens der Nato - praktisch nicht vom Auslöser die Rede: vom nunmehr vierten Krieg, den das Milosevic-Regime in zehn jahren ausgelöst hat (Slowenien, Kroatien, Bosnien, Kosovo) - und zwar ohne nennenswerten Protest der serbischen Öffentlichkeit (die Opposition war immer nur gegen die Herrschaft Milosevic, aber nie gegen
seine völkische Politik).
Sie meinen sarkastisch, "diese Barbaren" würden ein Protektorat brauchen.
Erstens: ja, es handelt sich um Barbaren, die Vukovar zusammengeschossen,
Sarajewo vier Jahre lang bombardiert, tausende in Srebrenica und anderswo
umgebracht haben. Und die serbische Bevölkerung, die das großteils billigend in Kauf nahm, braucht ebenso einen Umdenkprozeß, wie es die deutsche und österreichische Bevölkerung nach dem Krieg brauchte (auf allierten Druck).
Ihre Ironie ist unangebracht. Sie machen Witze über eine humanitäre
Katastrophe und über ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und: nennen
Sie mir ein Mittel, wie man einem völkermörderischen Aggressor ohne militärischem Einsatz entgegentritt.
Hans Rauscher
Mein zweites Mail vom 4. 5. 1999:
Sehr geehrter Herr Rauscher,
gern gehe ich auf Ihre Argumente ein:
Zunächst liegt mir an der Korrektur einer offensichtlichen Fehleinschätzung: ich bin kein Pazifist. Hätte die UNO einen Krieg gegen Yugoslawien nach dem Muster von "Wüstensturm" beschlossen, hätte ich nichts dagegen. Nur, Sie wissen es so gut wie ich: einen Bombenkrieg gegen Yugoslawien hätte die UNO im März 1999 nie beschlossen. Die Sachlage in Yugoslawien vor dem NATO-Angriff wäre im Unterschied zur Okkupation Kuwaits durch den Irak von den meisten UNO-Staaten nicht als angriffswürdig beurteilt worden. Bomben gegen Yugoslawien wären als unverhältnismäßig eingeschätzt und daher nicht sanktioniert worden. Warum wohl hat die NATO die UNO umgangen?
Ich habe "Wüstensturm" gutgeheißen, mehr noch aber den Einmarsch der
vietnamesischen Truppen in Kambodscha, als sie dem Spuk der Roten Khmer
ein Ende bereitet haben. Den indochinesischen Holocaust haben USA und
NATO freilich als "innere Angelegenheit" betrachtet; sie pflegten gute
Beziehungen zu Pol Pot .
In "Rest-Yugoslawien" - erinnert Sie das nicht an die Rest-Tschechei? -
leben mehr als eine halbe Million vertriebener Serben, 240 000 stammen
aus der Krajna. Der hochempfindliche moralische Seismograph der NATO hat
anläßlich ihrer Vertreibung nicht einen Millimeter ausgeschlagen.
Tudjman wurde weder als neuer Hitler beschimpft und für den
"Tyrannenmord" freigegeben, noch wurde Zagreb bombardiert.
Von den moralischen Begründungen des NATO-Angriffs halte ich daher gar
nichts. Die Politik benutzt die Moral und das ethische Empfinden der
Menschen nach Belieben: die UCK ist ein unterstützungswürdiger Verein von Freiheitskämpfern, die PKK hingegen organisiert Terroristen. Es
zählt nicht, was objektiv geschieht, sondern was in das jeweilige
politische Konzept paßt. Moralisierende Politiker kann ich nicht
ausstehen. Es sind entweder Fanatiker oder Heuchler. Mein Vertrauen
genießen trockene Pragmatiker, die professionell auf der einzig
legitimen Ebene der Politik agieren: auf der Ebene von Interessen.
Kissinger zB hat sich meisterhaft auf diesem Parkett bewegt. Er hat
nicht nur vor dem NATO-Angriff gewarnt, er hat auch die vorangegangene
Politik massiv kritisiert:
"President warns about the possibility of the escalation of conflicts
spreading to Macedonia, Greece or Turkey, but in the long run, these
conflicts are more likely to arise from the formation of Kosovo State.
Sending of U.S. troops to Serbia would be a dangerous precedent for the
United States and a violation of international law. What is being
proposed is that NATO troops be deployed in the territory of a sovereign
state, with a view to separating a province, which in the history of
that country is the cradle of national identity. It would be the same as
asking US to accept foreign troops so that Alamo could return to Mexico
because ethnical structure of Texas has changed."
Meine Sicht in Kürze: Dieser dilettantische Angriffskrieg ist, um im
Anklang an Clausewitz zu reden, nur die Fortsetzung einer
dilettantischen Politik mit anderen Mitteln. Natürlich stehen handfeste,
ordnungspolitische Wunschvorstellungen der NATO dahinter, aber deren
Realisierbarkeit wurde von den politischen Akteuren katastrophal falsch
eingeschätzt. Wie immer: Clinton, Blair, Solana, Cook, Scharping etc ist
es gelungen, aus einem regionalen, politisch lösbaren Konflikt ein
humanitäres, ökologisches, ökonomisches und weltpolitisches Desaster zu
machen. Dieses Faktum zählt für die Betroffenen. Völlig gleichgültig
hingegen ist, wie echt oder verlogen die so abstoßend zur Schau
getragene moralische Erregtheit der Yuppie-Feldherrn gewesen ist.
Dr. Roman Obrovski
P.S. Meine Eltern waren donauschwäbische Flüchtlinge aus einem
altösterreichischen Dorf namens Franzthal bei Semlin. Ihre Flucht sehe
ich als Folge des Nazi-Überfalls auf Yugoslawien. Mein Cousin ist
Architekt in Belgrad. Er ist nie Parteigänger Milosevics gewesen. Mit
der Kultiviertheit der Verwüster seines Landes kann dieser Barbar
freilich nicht mithalten. "Er muß umerzogen werden." --- Ja, glauben Sie
denn im Ernst, Herr Rauscher, daß NATO-Bürger bessere Menschen sind als
Serben, Feuerländer oder Hottentotten?
4/28/99
"Jetzt ist auch die letzte Donaubrücke endgültig in den Strom gebombt worden. Und für die Menschen in Novi Sad liegt das andere Ufer auf einmal ganz weit weg. Viele werden kaum verstehen, was sie mit diesem Krieg zu tun haben....Denn der Kosovo ist weit, was dort vorgeht berührt sie kaum...wie ungestraft Milosevics Menschenjäger operieren...die gewaltige Kriegsmaschinerie der NATO hat diesen Mörderbanden bis jetzt nichts anzuhaben vermocht" (Ernst Trost, Kronen Zeitung vom 27. 4. 1999)
Was im Kosovo vorgeht, berührt die Menschen in Novi Sad also kaum. Die Menschen von Seattle bis Ankara, von Oslo bis Palermo aber sind um den Kosovo so besorgt, daß sie Bomben auf Novi Sad gefordert haben?
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"Die Weltmacht USA hat gegen mehrere Dutzend Staaten ökonomische Sanktionen verhängt - darunter China, Indien, Pakistan, Indonesien und Iran - und diese Eingriffe zum Teil mit Menschenrechtsvorwürfen begründet. Die betroffenen Staaten und ihre Regierungen müssen jedoch den Eindruck gewinnen: Es geht weniger um Menschenrechte als vielmehr um die Aufrechterhaltung einer weltweiten Dominanz der USA. Dieser Eindruck drängt sich um so mehr auf, als die Vorwürfe sehr wählerisch erhoben werden: gegen China und Iran, nicht aber gegen Israel oder Saudi-Arabien. Offensichtlich entscheiden politische Interessen Amerikas darüber, wer angeklagt werden soll und wer nicht. Diese selektive, zweischneidige Menschenrechtspolitik...." (HELMUT SCHMIDT, Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral, Stuttgart 1998, Seite 246 f)
Der US-dominierte Bombenkrieg gegen Yugoslawien hat den Eindruck, daß Menschenrechtsvorwürfe der USA nur der Rechtfertigung einer rücksichtslosen Hegemoniepolitik dienen, nicht nur in exotischen Ländern, sondern auch bei mehr oder weniger großen Bevölkerungsteilen in NATO-Staaten, besonders in Griechenland und Italien, bestärkt.
4/27/99
Ein Krieg, der aus rein humanitären Motiven geführt wird, wie die NATO-Sprecher nicht müde werden zu behaupten, muß sich an seinen humanitären Resultaten messen lassen. Fällt also die "Humanbilanz" zum heutigen Tag für Kosovaren, Albaner, Serben, Mazedonier etc positiver aus, als für den Zustand vor dem Krieg? Ist aus einem regionalen - und wie ich nach wie vor überzeugt bin: politisch lösbaren - Konflikt nicht erst durch den Bombenkrieg der NATO eine humanitäre und ökologische Katastrophe geworden, die Millionen Menschen betrifft? Welche Konsequenzen hat dieser Krieg langfristig nicht nur für den Balkan, sondern für die Weltordnung? Welche neuen Perspektiven für den Balkan sind herbeigebombt worden? Wird man nach der Eindämmung der Gewalt bessere Lösungsmöglichkeiten vorfinden als vorher? Besser für wen?
Ein Bombenkrieg gegen Yugoslawien wäre von der UNO wohl nie beschlossen worden, weil die Sachlage in Yugoslawien zB im Unterschied zur Okkupation Kuwaits durch den Irak von den meisten UNO-Staaten gewiß anders beurteilt worden wäre. Bomben gegen Yugoslawien wären m. E. als unverhältnismäßig eingeschätzt und daher nicht sanktioniert worden. Der Sündenfall der NATO: Sie hat die mäßigende Institution der UNO umgangen und eigenmächtig Gewalt eingesetzt.
Jetzt haben wir den Scherbenhaufen.
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Die Serben sind weder bessere noch schlechtere Menschen als Deutsche, Kirgisen, Feuerländer - aber man muß Menschen verstehen, wenn man ein Problem mit ihnen erfolgreich und friedlich verhandeln und lösen will.
Die Serben fühlten sich in ihren Interessen schon unter Tito benachteiligt (zb sind rund 400 000 Serben in der Zeit der Autonomie des Kosovo zwischen 1945 und 1989 in andere Teile Yugoslawiens abgewandert, weil sie sich von den Albanern hinausgeekelt fühlten).
Der Westen hat den Zerfall Yugoslawiens beschleunigt statt verzögert und die nationalen Interessen der Slowenen, Kroaten, Muslime, Albaner in der Wahrnehmung der Serben systematisch gegen Serbien in Stellung gebracht. Die bosnischen Serben hingegen dürfen sich nicht an Serbien anschließen und aus der Krajna und aus Ostslawonien wurden Hunderttausende Serben vertrieben, ohne daß der hochempfindliche moralische Seismograph der NATO dabei im geringsten ausschlug. Im nächsten Schritt forciert die NATO vielleicht die Sezession der Vojvodina, weil dort auch Ungarn leben.
4/27/99
Offenbar bedarf es stets aufs Neue der Erfahrung der Gewalt, damit Ernüchterung eintritt, damit gefordert wird, daß subjektive moralische Erregheit nicht unmittelbar, sondern geläutert durch institutionell gesicherte Verfahren zur Politik wird:
"Mit ihren undifferenzierten Äußerungen schaffen Kriegsfalke Blair und Co ein Klima der Gewaltbereitschaft, mit ihren Handlungen bringen sie die Institutionen der Demokratie, welche sie zu verteidigen vorgeben, in Verruf. Indem gezeigt wurde, daß es genügt, sich auf eine moralische Mission zu berufen, um eine Bombenkampagne zu beginnen, an den demokratisch legitimierten internationalen Institutionen vorbei,wurde ein Klima geschaffen, in welchem nun die Schul-Killer in den USA und die rassistischen Bombenleger in England durchaus im Einklang mit der Grundstimmung stehen, die man als Littleton-Mentalität bezeichnen könnte."
("Rassistischer Bombenterror erschüttert London", Armin Medosch 26.04.99)
Kritische Stimmen wie diese geben jedenfalls Hoffnung. Das ist mein Europa!
4/26/99
Wenn Nationalstaaten in Fragen der Menschenrechte nicht mehr souverän sein sollen - ist denn die NATO die neue Heilige Dreifaltigkeit - Weltgesetzgeber, Weltpolizist und Weltrichter in einem? Wären das nicht Aufgaben der UNO? Mit dem eigenmächtigen Krieg gegen Yugoslawien wird die NATO in der übrigen Welt vermutlich mehr Mißtrauen und Widerstand gegen die "westliche Staatengemeinschaft" erzeugen, als vor den Iden des März vorhanden waren.
4/21/99
Yugoslawien hat dazu gelernt und läßt mittlerweile westliche Medienvertreter wieder freier arbeiten. Das Massaker, das die NATO durch den Angriff auf zwei Flüchtlingstrecks angerichtet hat, war ja nicht zuletzt aufgrund des Zeugnisses westlicher Journalisten (Bombensplitter mit englischer Aufschrift) unleugbar geworden. BBC und selbst CNN bringen seither hin und wieder Berichte, die quer zu NATO-Darstellungen liegen. Yugoslawien hat freilich seit den Sezessionskriegen (Kroatien, Bosnien) sehr schlechte Erfahrungen mit dem Infowar gemacht ("Ruder&Finn")
4/19/99
Das Faszinierende an politischen Diskussionen: ein und derselbe Sachverhalt lädt ein zu diametralen Bewertungen und am Ende bleibt jeder bei seiner Meinung. Dies scheint der Hauptgrund dafür, daß Auffassungsunterschiede letztlich oft mit Waffengewalt ausgetragen werden.
Für viele Europäer scheint die NATO nicht nur eine weltliche Macht mit weltlichen Interessen zu sein, sondern auch so etwas wie der Papst in Rom, also eine moralische Instanz. Für mich ist sie das nicht.
Eine Stimme aus einem amerikanischen thread:
"Slobodan Milosevic is being denounced around the world for trying to hold the Yugoslav Union together. Why is what he is doing any different from what Lincoln did in the United States? Why isn't Milosevic celebrated like Lincoln for preserving the Union?"
(http://tabletalk.salonmagazine.com/webx?
4/18/99
Ich argumentiere nicht für Milosevic sondern für das, was ich persönlich für fair und friedensdienlich halte. Nach meiner Wahrnehmung hat der Westen seit dem Tode Titos zur Destabilisierung des Balkans gezielt beigetragen, statt integrative Tendenzen zu stützen. Im NATO-Angriff auf Yugoslawien kulminiert diese in meinen Augen völlig verfehlte Politik.
Der serbische Nationalismus erscheint mir nicht besser und nicht schlechter als alle anderen Balkan-Nationalismen. Den unermüdlich propagierten Vergleich Yugoslawiens mit Nazi-Deutschland und den Vergleich Milosevics mit Hilter finde ich peinlich, weil er so wenig politische Urteilskraft und historisches Wissen enthüllt (dem Konflikt und dem Zusammenleben der beharrlich-europäischen Serben und den islamisierten Ethnien auf dem Balkan hat Ivo Andric in der "Die Brücke über die Drina" ein berührendes Denkmal gesetzt).
Die wahre Motivation für die Verteufelung der Serben suche ich daher nicht in der feinfühligen Moral der NATO-Verantwortlichen, sondern in ihrer moralunabhängigen strategischen Zielsetzung. Diese scheint einfach darin zu bestehen, Serbien so klein wie möglich zu halten. Die NATO duldet kein eigenwilliges südosteuropäisches Kraftzentrum. Aber das sagt sie nicht. Sie heuchelt statt dessen moralische Motive bei der Unterstützung islamischer Ethnien, die sie sonst in der Regel bekämpft (Osama bin Laden soll sich auch in Albanien aufhalten. Kämpft Amerikas Staatsfeind Nummer Eins also Seite an Seite mit dem amerikanischen Teufel gegen die Serben?).
Warum aber wählt die Politik den Umweg über die Moral? Weil politische Ziele über die selbstgerechte moralische Erregung aus dem Bauch erfolgreicher zu vermitteln sind als über den Kopf, das lehrt die Erfahrung.
Die Politik benutzt die Moral und das ethische Empfinden der Menschen nach Belieben - die UCK ist ein unterstützungswürdiger Verein von Freiheitskämpfer, die PKK hingegen organisiert Terroristen. Es zählt nicht, was objektiv geschieht, sondern was in das jeweilige politische Konzept paßt.
Ich will damit sagen: wer den Yugoslawienkrieg nur auf moralischer Ebene diskutiert, läßt sich von der Politik hinters Licht führen.
4/16/99
Die NATO zerbombt Yugoslawien aus humanitären Motiven. Diese Begründung
gilt manchen als besonders glaubwürdig , weil einige sogenannte 68-iger die Bombardements mitentschieden haben. Sie preisen Raketen als das beste Mittel an,
Vernunft und Menschlichkeit nach Yugoslawien zu bringen. Nicht um territoriale Ziele, nicht um strategische Vorteile, sondern für Werte und für Menschenrechte kämpfe die NATO auf dem Balkan, behauptet Jung-68-iger Tony Blair mit steifer Lippe. Warum verzichtet er auf diese famose Methode in Nordirland?
Die militante Menschenrechtsoffensive der 68-iger Javier Solana, Robert Cook, Rudolf Scharping und Joschka Fischer hat mit der Aufklärung und mit den Leitideen der 68-iger nur die Rhetorik gemein. Sie hat das Leiden Hunderttausender Menschen vermehrt und nicht gemindert. Freilich: An edlen Motiven hat es noch keinem Aggressor gemangelt. Selbst Goebbels ging in den totalen Krieg "wie in einen Gottesdienst".
War denn der casus belli die Moral? War es nicht vielmehr der Umstand, daß Yugoslawien es ablehnte, eine seiner Provinzen von NATO-Truppen besetzen zu lassen? Sollten die NATO-Truppen nicht volle Bewegungsfreiheit in ganz Yugoslawien genießen? War diese Forderung an Yugoslawien nicht gleichbedeutend mit der Zumutung, die staatliche Souveränität an fremde Truppen abzugeben? Konnten die Menschenrechte in Yugoslawien nur durch NATO-Besatzer gefördert, unterstützt oder verteidigt werden? Sind die fortwährend bemühten Vergleiche Yugoslawiens mit Nazideutschland nicht endlich peinlich genug für alle, die sich noch ein wenig kühle, politische Urteilskraft
bewahrt haben?
Die NATO-68-iger sind weder Politiker mit Weitsicht, noch entschlossene Feldherrn. Wenn schon Krieg, dann sollte er einen neuen, hoffnungsträchtigen Lösungsansatz freilegen. Hat der Bomben-Krieg der NATO das geleistet? Nein, er hat nur bisherige Lösungsmöglichkeiten aussichtslos gemacht.
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Meine Wahrnehmung der Entwicklung auf dem Balkan konzentriert sich
nicht auf eine Person, die das Zentrum allen Übels ist. Ich glaube, daß diese Personalisierung nicht nur übertrieben, sondern vor allem hinderlich ist bei der Analyse und Behandlung der realen Konfliktlinien und Interessensgegensätze. Die Fixierung auf Milosevic erschwert m. E. konstruktive Lösungen und nährt Illusionen über den Erfolg allzu schlichter Ansätze.
Ich bin kein Pazifist - kein realitätsbezogener Mensch kann das sein, meine ich - und teile daher auch die Auffassung nicht, daß ein Krieg nichts löst. Daß DIESER Krieg von der NATO geführt wird und WIE er geführt wird, überzeugt mich nur nicht von der Problemlösekompetenz der Akteure.
Der Preis für die Neuordnung des Balkans nach den Vorstellungen der NATO scheint ins Desaströse zu wachsen. Das Zynische an der NATO-Bomben-Strategie ist die Feigheit vor eigenen Opfern. Der Bombenkrieg schont den Aggressor, verletzt aber massiv die Lebensinteressen von bisher neutralen oder gar NATO-freundlichen Bevölkerungsanteilen in Yugoslawien und wälzt die Hauptlast des Krieges auf Menschen, denen die NATO angeblich helfen will.
4/11/99
Die Bemäntelung des Krieges mit Moral ist so alt wie die Menschheit. Wir haben einander immer nach hohen moralischen Standards massakriert. Wahrscheinlich brauchen wir die laustarke Rechtfertigung des Krieges zur Psychohygiene. Im Unterschied zu anderen Lebewesen haben wir ein höheres Maß an Bewußtsein von den Leiden, die wir anderen zufügen, wenn wir unsere Interessen ohne Rücksicht auf ihr Wohl und Leben durchsetzen.
Nach Clausewitz ist der Krieg ein "Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen", zugleich aber, weil Teil des politischen Prozesses, eine "Dreifaltigkeit" von Gewalt, Spiel und Verstand.
Der gegenwärtige Balkan-Krieg zeichnet sich aus durch reichlich Gewalt und übermütiges Spiel mit der Weltordnung, Verstand hingegen ist kaum als Spurelement nachweisbar.
4/10/99
Ein "Protektorat" brauchen die Völker Yugoslawiens also auf jeden Fall, wie das bei Untermenschen halt so ist. Diese Barbaren können ihre Probleme nicht selber lösen. Wie gut, daß es Große Brüder gibt, die ihnen Unterricht in gewaltfreier Konfliktlösung erteilen und sie aus dumpfem Elend empor ins Reich der Edelmenschen bomben.
4/06/99
Noch einmal zur Vergangenheit: jeder Staat dieser Welt hätte das Pariser Diktat, verbunden mit der Androhung militärischer Gewalt, als glatte Erpressung und Demütigung aufgefaßt. Kissinger hat das Pariser Diktat mit der Zumutung an die USA verglichen, Texas freiwillig an Mexico zurückzugeben, weil sich die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung geändert hat, und der Besetzung des Landes durch eine fremde Macht zuzustimmen.
Die UNO war schwach, wie alle Vernunft in der Welt, nun aber ist sie verschieden. Vielleicht feiert sie Auferstehung als kostenlose Vorfeldorganisation der amerikanischen Hegemonie (die USA pflegen ihre
Beiträge ja nicht zu bezahlen). Herr Annan gibt sich dazu schon sehr willfährig.
4/06/99
Als Realist argumentiere ich nicht mehr, wenn Waffen sprechen. "Was wäre wenn..." überlasse ich Schönrednern und Phantasten. Jetzt ist Krieg. Der Argumentation und Überzeugungsarbeit überdrüssig, versucht jede Seite nun, ihre Interessen mit Gewalt, List, Verschlagenheit, Heuchelei und Propaganda bestmöglich durchzusetzen. Wenn die Serben besiegt oder die Kombattanten erschöpft sind, wird eine neue Ordnung entstehen. Eine bessere? Phew!
4/05/99
Jetzt geht es wohl nicht mehr in erster Linie um neue strategische Vorteile auf dem Balkan. Die Glaubwürdigkeit, das Prestige der USA und der NATO selbst stehen auf dem Spiel. Der Weltgott darf nicht zum Papiertiger werden:
"How will the deployment of ground troops affect America's ability to respond to its other security commitments around the globe? Wall-to-wall Kosovo coverage has knocked Iraq, Iran, North Korea, and China off the news but not off our radar screens. Like it or not, the United States is an imperial power with global ambitions and a finite pool of military resources. A commitment to Kosovo must be weighed against this backdrop."
http://www.slate.com/dialogues/
Die NATO hat sich in Paris durch Arroganz und politischen Dilettantismus (Ultimatum statt Verhandlung, Diktat statt einer Lösung, die Yugoslawien das Gesicht hätte wahren lassen) völlig unnötig in eine Zwangslage manövriert, hat den Teufel losgelassen und kann/will es sich nun nicht mehr leisten, einen Rückzieher zu machen. "Würde" auf der Seite der Serben, "Großalbanien" bei der UCK, "Prestige" bei den USA und reales Elend im Kosovo, in Serbien, Mazedonien, Albanien.... - das sind die emotional nun enorm aufgeladenen Faktoren, die die Dynamik des Krieges bestimmen und gegenwärtig kaum unter Kontrolle zu bringen sind.
Die beste Lösung wäre m. E., wenn Serbien sich mit den gemäßigten Albanern um Rugova direkt einigt. Die NATO freilich wünscht eine solche Lösung nicht. Indiz: Sie hat das Treffen Milosevic-Rugova als serbische Propagandalüge abzutun versucht und behauptet, Rugova stehe unter Hausarrest. Rugova hat seine Forderung nach Einstellung der Bombardements, sein Treffen mit Milosevic und seine Forderung nach Wiederaufnahme der Verhandlungen heute jedoch bekräftigt, das melden auch westliche Agenturen. Rugova klingt glaubwürdig - er war immer für eine gewaltfreie Lösung - aber er riskiert seinen Hals, wenn er meint was er sagt und käme damit wahrscheinlich unter die Räder der UCK und der NATO.
Ein anderer Ansatz zur De-Eskalierung wäre die Einschaltung echter Vermittler (Nicht-NATO-Mitglieder). Freilich gilt auch hier: will die NATO das? Wie wahrt sie ihre Glaubwürdigkeit, ohne zumindest den Anschein zu erwecken, die Serben in die Knie gezwungen zu haben?
Vielleicht kommt es wirklich zu einer Teilung des Kosovo. Was immer: eine politische Lösung mit Yugoslawien wäre auch ohne Bombardements, ohne Flüchtlingselend, ohne Marginalisierung der UNO etc möglich gewesen.
Es sieht nicht gut aus.
4/04/99
Kein Zweifel kann daran bestehen, daß der NATO-Angriff auf Yugoslawien VORHERSEHBAR
Natürlich sind die weiteren Folgen der unnötigen, verhängnisvollen Entscheidung zum Angriffskrieg weder in ihrem vollen Ausmaß noch in allen Einzelheiten berechenbar - aber auch das: daß die Dinge außer Kontrolle geraten, kann niemanden überraschen, der von Krieg und Frieden ein bißchen mehr versteht als zB der "sozialdemokratische" Laienschauspieler an der Spitze des deutschen "Verteidigungs"-Ministeriums.
Der offene Krieg auf dem Balkan wird vermutlich erst enden, wenn "Rest"-Yugoslawien zerschlagen (da fällt mir eine Parallele ein: die "Rest-Tschechei"...) und ein NATO-Protektorat auf dem Balkan errichtet sein wird.
Ich nehme nicht an - was ich gern täte -, daß die NATO über ihren Schatten springt und zum Verhandlungstisch zurückkehrt.
Mit der Kapitulation der yugoslawischen Armee aber wird die Gewalt nicht zu Ende sein. Sie wird die Form des Partisanenkampfes gegen NATO-Besatzer, möglicherweise auch die eines jahrzehntelangen Terrors gegen NATO-Länder und -Bürger annehmen.
Der so forsch auftretende Tony Blair kann nicht einmal den Nordirland-Konflikt lösen, will uns aber weismachen, den Balkan mit Bomben befrieden zu können! Die Leute glauben ihm diesen Unsinn?
4/04/99
"Nationalismus darf sich einfach nicht mehr lohnen"- ja, da bin ich dabei. Ein Prinzip hat geholfen, den Nationalismus nach 1945 in Europa ruhig zu stellen: die Grenzen waren tabu. Genau dieses Prinzip hat die NATO gegenüber Yugoslawien selbst durchbrochen: seit dem Tode Titos konnte der Nationalismus aller Ethnien auf dem Balkan mit der offenen Ermunterung, dann mit der massiven politischen Hilfe (rasche Anerkennung Sloweniens und Kroatiens) und seit Bosnien auch mit der Waffenhilfe der NATO rechnen; die Ermutigung der albanischen Sezessionisten (wer interessiert sich schon für die Ursachen des serbischen Exodus aus Albanien vor 1989?) und der offene Krieg gegen "Rest"-Yugoslawien ist nur der Höhe- und Endpunkt dieser nationalismusfreundlichen NATO-Politik, von der allein die Serben ausgenommen waren/sind. Ist das eine schlüssige, anti-nationalistische Strategie? Ich kann darin nur das Konzept erkennen, das schon die Römer mit großem Erfolg angewendet haben: "divide et impera".-
Wie bedeutsam die humanitäre Motivation der NATO ist, messe man an der Praxis. Die NATO ist in der Lage, ein Fernheizwerk mitten in Belgrad zu treffen, aber außerstande, den albanischen Flüchtlingen mit Unterkünften, Nahrung und Medikamenten zu helfen. Diese Last dürfen bettelarme Länder wie Mazedonien und das devastierte Albanien tragen. Und natürlich werden auch wir zu Spenden aufgerufen und diskutieren, ob wir fünf- oder zehntausend Albaner aufnehmen, vorübergehend versteht sich.
Ich nehme den NATO-Entscheidungsträgern die moralische Motivation einfach nicht ab und ertrage die mediale Empörung nur sehr schwer, mit der eine Katastrophe, die die NATO sehenden Auges herbeigeführt hat, nun beheuchelt wird.
Eine Rückkehr zu Verhandlungen halte ich nach den bisher erreichten Stufen der Eskalation für nahezu ausgeschlossen. Die Sache wird wohl bis zur Kapitulation Belgrads und/oder bis zum Ausbruch der Anarchie in "Rest"-Yugoslawien ausgetragen werden.
4/01/99
Man sollte meinen, daß ein professionelles Krisenmanagement der konkurrenzlos mächtigsten Staaten dieser Welt zwischen "Augen zumachen" und Bomben (auch gegen Zivilisten) politische Alternativen umzusetzen in der Lage ist. Auch nach dem Schlachten wird das möglich sein müssen, freilich unter erschwerten Bedingungen.
Natürlich will man uns nun glauben machen - und dies wird mithilfe der Massenmedien weitgehend gelingen - daß die NATO-"Vermittler" "lange genug alles versucht haben", daß der Westen "nicht länger zusehen" und "nicht anders handeln" konnte. Milosevic wird hochstilisiert zu einem neuen Hitler, die eigene Barbarei wird gerechtfertigt mithilfe selektiver TV-Berichte über wirkliche und angebliche serbische Greueltaten (zB die nicht stattgefundene "Ermordung" gemäßigter albanischer Politiker - wie eilfertig solche Behauptungen auch von "seriösen" Medien verbreitet werden), moralisierende Aufgeregtheit hat Hochkonjunktur ....nur ist einfach nicht wahr, daß es keine Alternative zu den Bombenattacken auf Yugoslawien gegeben hat.
Bislang habe ich für mich nicht ausgeschlossen, daß hinter der einseitigen, ultimativen Haltung der NATO-"Vermittler", die stracks in den Krieg führen mußte, nicht doch eine kalte, wenn auch sehr riskante Strategie der USA steckt. Wenn ich mir aber nun das unentschlossene Gerede zur Entsendung von Bodentruppen anhöre, verstärkt sich bei mir der Eindruck, daß man wirklich aus purem Dilettantismus in dieses Debakel gestolpert ist. Umso schlimmer. Sie haben nicht einmal einen Plan!
4/01/99
NOAM CHOMSKY. Die Analogie, die er zum Hippokratischen Prinzip zieht, finde ich sehr treffend:
"The US has chosen a course of action which, as it explicitly recognizes, escalates atrocities and violence -- "predictably"; a course of action that also strikes yet another blow against the regime of international order, which does offer the weak at least some limited protection from predatory states. As for the longer term, consequences are unpredictable. One plausible observation is that "every bomb that falls on Serbia and every ethnic killing in Kosovo suggests that it will scarcely be possible for Serbs and Albanians to live beside each other in some sort of peace" (Financial Times, March 27). Some of the longer-term possible outcomes are extremely ugly, as has not gone without notice.
A standard argument is that we had to do something: we could not simply stand by as atrocities continue. That is never true. One choice, always, is to follow the Hippocratic principle: "First, do no harm." If you can think of no way to adhere to that elementary principle, then do nothing. There are always ways that can be considered. Diplomacy and negotiations are never at an end."
http://www.zmag.org/chomsky/articles/
Ich wäre gern stolz auf Europa.
3/31/99
Es ist eingetreten, was als Folge des NATO-Angriffs unschwer vorherzusehen war: mehr und nicht weniger Gewalt, mehr und nicht weniger Unrecht, mehr und nicht weniger Leid, mehr und nicht weniger politische Probleme. Nun läuft die Sache aber nach ihrer eigenen, eisernen Logik, will sagen: "Aufrufe" können die entfesselte Gewalt nicht stoppen. "Wir müssen hier durch" lautet vielmehr die Parole der Amerikaner, der Briten und der gewendeten 68-iger in deutscher Regierungsverantwortung. Sie müssen gewinnen, wenn sie an der Macht bleiben wollen und sie werden gewinnen - wer sollte sie aufhalten?
Für die Völker auf dem Balkan heißt das: noch mehr Bomben, noch mehr Barbarei, noch mehr Haß (er wird für Generationen reichen) - bis Belgrad ein Trümmerhaufen und der Kosovo frei geschlachtet ist. Die politischen Führer der Serben werden als Kriegsverbrecher und Massenmörder verfolgt und bestraft werden. Die Journalisten, Juristen und Historiker der Siegermächte werden die Wahrnehmung der Kriegsursachen, seines Verlaufs und der Kriegsschuld NATO-konform für die nächste Generation aufbereiten und die Geschichte geht einfach weiter.
3/28/99
Mein Email an Frau Albright:
Yes, there is a difference between NATO- and NAZI-warlords: the Nazis weren´t so hypocritical! Stop bombing! No ultimatum! Fair negotiations!
3/26/99
In der Politik schmiegt sich die Moral meist den Interessen an, nicht umgekehrt. Deshalb fühlen sich ja immer ALLE im Recht. Rechthaberei aber führt stets zum Konflikt. Die hohe Kunst der Politik, die leider nur wenige beherrschen, überwindet das fruchtlose Moralisieren und erhält gewaltfrei einen dynamischen Zustand des permanenten Interessenausgleichs.
Daß die Außenpolitik des mächtigsten Staates der Welt weit öfter von Stümpern als von Meistern wie Henry Kissinger geführt wird, ist ein Jammer für viele Völker dieser Erde.
3/24/99
Endlich erhält Yugoslawien eine Lektion in Menschlichkeit! Wobei freilich darauf zu achten ist, daß es möglichst keine Verluste von NATO-Soldaten gibt, "weil sich demokratische Regierungen keinen 'selbstlosen' moralischen Einsatz leisten können, bei dem aus 'humanitären Gründen' Menschen umkommen und viel Geld ausgegeben wird." Nein, sterben dürfen nur die Serben, das war schon 1914 die Losung. - Die "globale Verpflichtung" der NATO, Krieg im Namen der Menschenrechte zu führen, wird in der Tat recht "selektiv" gehandhabt (zB gegenüber der verbündeten Türkei). Warum? Weil die NATO-Politik der double standards nicht von "Menschlichkeit", sondern von banalen Interessen geleitet und durch nichts legitimiert ist als durch Macht. Macht, die unklug eingesetzt wird, wie einst in Vietnam. Doch alea iacta! Glück auf! Mögen deutsche Tornados der Menschlichkeit auf dem Balkan zum Durchbruch verhelfen!
3/23/99
Wie gemütlich ist es doch, vom Sofa aus im trauten Heim Bomben auf Yugoslawien zu fordern!
Es geht nicht um Pazifismus und um (Schein)moral, sondern um politische Rationalität. Die NATO plant den Angriff auf einen souveränen Staat mit dem Ziel, die Sezession einer Provinz zu unterstützen, die für diesen Staat eine Bedeutung hat wie der Dom zu Speyr oder zu Köln für viele Deutsche. Henry Kissinger, der von Krieg und Frieden ein bißchen mehr versteht als die unerträglichen, medial aktiven Gutmenschen, die es kaum erwarten können, bis die ersten cruise missiles in Serbien einschlagen, Henry Kissinger hat im Foreign Affairs Committee des Repräsentantenhauses entschieden gegen den NATO-Angriff plädiert. Aber sie werden nicht auf ihn hören.
Hegel sagt, daß die Geschichte lehrt, daß die Menschen aus der Geschichte nichts lernen. Wie
recht er hat.
3/22/99
Ein NATO-Angriff auf Serbien wird ein offener, folgenreicher Bruch des Völkerrechts sein. Bomben auf Belgrad werden der Auftakt sein zu einem Krieg, der das Leid der Menschen auf dem Balkan vervielfachen, die europäische Integration verzögern und da und dort rückläufig machen wird. Die üble NATO-Politik des divide et impera auf dem Balkan, derzufolge jede Pimperl-Ethnie außer den Serben ihren Nationalismus ungehemmt ausleben darf, wird sich gegen Europa selbst wenden. Die Verstrickung der NATO in einen Partisanenkrieg - erwartet die "internationale Gemeinschaft" tatsächlich, daß die Serben ihr Land widerstandslos zum Protektorat machen lassen? - wird sich als fatal erweisen.
Europa kann kein Interesse an der Eskalation der Gewalt auf dem Balkan haben. Europa wäre gut beraten, die Serben endlich fair zu behandeln und ihre nationalen Interessen ebenso zu respektieren wie die Interessen aller anderen Völker. Nein? Dann wählt Europa zum dritten Mal in diesem Jahrhundert die Selbstzerfleischung, aus der nur die USA gestärkt hervorgehen werden. Die Europäer sind wirklich unbelehrbar.
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