Am schönsten
weidewerkt es sich
ja doch allein

FRIEDRICH VON GAGERN

15. und 16. August 2004

[Fürstau] Der eingetiefte Gebirgsbach führt wenig Wasser. Über Felsbrocken und lockeres Geschiebe pirsche ich aufwärts. Immer wieder bleibe ich stehen und glase die Umgebung ab. Mit nahezu jedem Schritt ändert sich die Perspektive. 0800 Uhr. Außer den Almkühen und einer Rehgeiß, die rechts oben in ein Waldstück wechselt, ist nichts zu sehen. Kein Scharwild im einsichtigen Teil des Großen Kars. Dennoch beschließe ich, aufzusteigen. Schließlich liegt der ganze Tag vor mir.

Ich passiere das Nebengerinne, in das ich gestern abend mit Bernd abgezweigt bin. Die Gams, die bei den letzten Lärchen gestanden ist, konnten wir dennoch nicht mehr ansprechen. Eine Altgais? Ein Bock? Was für einer? Falls ich auf dem Kar ohne Erfolg bleibe, werde ich mich am Nachmittag beim Rückweg auf dem flachen Findling positionieren. Er bietet nicht nur zu den Lärchen, sondern über einen weiten Bereich des unteren Talkessels einen guten Überblick.

Stimmen. Auf dem markierten Weg wandert ein Pärchen Richtung Kar. Ich reduziere meine Chancen, oben zu Schuss zu kommen, lasse die beiden ungesehen passieren und gebe ihnen fünfzehn Minuten Vorsprung. An Wanderer, hat der Bauer gesagt, sind die Gams gewöhnt. Aus meiner Erfahrung kann ich das nicht bestätigen, aber möge er Recht behalten.

In der Mitte der Scharte richte ich mich ein. Von dieser Stelle aus ist das Große Kar in einem Winkel von etwa 160 Grad mit der Büchse zu bestreichen. Außer zwei Murmeltieren aber rührt sich sehr lange nichts. Ich genieße die Sonne und studiere das Panorama des Steinernen Meers und des Tennengebirges. Der sternübersäte Himmel über dem Hochtal gestern Nacht freilich war noch wunderbarer.

Eben war die alte, nicht führende Gais im Begriff, in Schussweite zu bummeln, da überfällt sie plötzlich zwei Gräben, setzt rechts von mir hoch zum Grat und verschwindet hinter einem Felsvorsprung. Einen riskanten Schuss auf so edles Wild habe ich mir verboten. Zieht sie über den Kamm in den Talkessel? Ist sie das Stück, das gestern bei den Lärchen gestanden ist? Warum hat sie´s auf einmal so eilig? Da wird des Rätsels Lösung hörbar. Nach einigen Minuten stapfen, grell gekleidet, Vater, Mutter und zwei Knaben schwatzend an mir vorbei.

1500 Uhr. Ich mache mich auf den Rückweg. Nach einer knappen Stunde lange ich beim Findling an. Ich stille meinen Durst und überlege mir die trefflichste Position, da höre ich erneut Stimmen. Ich habe genug von den lieben Mitmenschen und beschließe, über den Hang auf die gegenüberliegende Seite des Lärchengrats zu wechseln. Der Wind steht dieser Absicht nicht entgegen.

Weglos durch Almrausch, Erlen und Geröll einen steilen Hang zu queren, ist ein kraftraubendes Unternehmen. Ich komme nur langsam voran, muss weiter nach Westen als geplant und steige immer höher, weil ich keinen guten Aussichtspunkt finde. Erschöpft und vorsichtig überquere ich ein letztes Kar, in dem unter Felssplittern und Geröll Schnee liegt. Ich halte auf eine Kuppe zu, die mir den gesuchten Überblick verspricht.

Da pfeift eine Gams. Sie steht breit und geradewegs vor mir auf einem Felsen in etwa 120 Meter Entfernung. Ich verharre, lege mich in Zeitlupe so flach wie möglich nieder und rege mich nicht. Sie pfeift erneut und äugt unverwandt zum fast verschwundenen Auslöser ihres Warnlauts. Ganz langsam schlüpfe ich aus den Schlaufen des Rucksacks und schiebe ihn vor mich. Die Gams steht wie ein Standbild, das Haupt mißtrauisch in meine Richtung gesenkt. Ich lege die Büchse an und spreche sie durch das Zielfernrohr an. Sie ist es! Ich erkenne sie an den dünnen Schläuchen und an den verwaschenen Zügeln. Der Schuss zerreißt die Stille. Die Gams ist verschwunden. Ich halte den Atem an.

Da sinken Haupt und Träger über die Felskante und die Gais stürzt schwer über einige schmale Felsbänder, bis sie auf einem breiteren Band zu liegen kommt.

1800 Uhr. Die aufgebrochene Gais im Rucksack ist schwächer im Wildbret als die vorjährige. Mit Beute, Waffe und Stock mache ich mich an den Abstieg und wechsle vom Felsband auf den vermeintlich gängigeren Grat. Prompt gibt das Geröll unter dem ersten Tritt nach.

Steil rutsche ich seitlich ab, bis ich nach fünf, sechs Metern wieder Halt im Felsen finde. Uff. Nichts gebrochen. Das Hemd zerrissen. Arge Schürfwunden am linken Arm, weniger arge am linken Bein. Auch die Büchse scheint außer einigen Schrammen am Schaft heil. Ich seile die Waffe die restlichen Meter bis ins flachere Stück ab, werfe den Stock hinterher und klettere mit freien Händen nach. Ich taste mich über das schwarzsplittrig bedeckte Schneefeld und bewege mich wie auf Eiern über Geröll abwärts. Nach einer Stunde habe ich festen Almboden unter den Füßen. Eine halbe Stunde später erreiche ich die Hütte.

Als ich das Wildbret am späten Abend bei Leo abliefere, zählt der zufällig anwesende Bezirksjägermeister die Hornringe an den Schläuchen nach. Die Gais war siebzehn Jahre alt. Leo freut sich mit mir über den Abschuss, nicht aber über das Wildbret.


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