11. 8. 2010 | Blatten | |||
Vom Blatten Ich blatte am liebsten tagsüber im Stangenholz oder im Hochwald. Eine absolut wichtige Regel ist es, den Bock aus dem Hellen ins Dunkle zu locken. Alte Böcke verlassen die schattigen Tageseinstände nur ungern, um am hellichten Tag auf Lichtungen, Schäge oder Wiesen zu springen. Wenn man von unkundigen Begleitjägern bei Tag auf sonnenumflutete Hochstände gesetzt wird, ist der Erfolg mehr als fraglich, denn manche Böcke reagieren zwar aufs Blatt, bleiben aber in Deckung und ungesehen, weil sie fast nie auf sonnige Lichtungen austreten. Ein Blatten von Hochständen bei Tag ist nicht zu empfehlen, da diese meistens an Schnittpunkten von Dickung, Schlag und Hochwald stehen, die Randäste eine Einsicht in den Wald verhindern, die Böcke in der Dickung viel zu nahe an den Hochstand ungesehen anspringen und, ohne dass der Jäger es merkt, für das ganze Jahr vergrämt werden. ... Der häufigste Fehler, den man beim Blatten begeht, ist der, dass man nicht unbemerkt zum Blattplatz kommt. ... ... ist es eine sehr oft vorkommende Unart, zu früh mit dem Blatten zu beginnen. Ebensooft (und an guten Blattagen sogar mit einer gewissen Erfolgschance) verläßt er Jäger seinen Stand - nach erfolglosem Blatten - zu früh. Auch hier empfehlen die alten Meister eine Wartezeit von zehn Minuten bis zu einer Viertelstunde, damit ungesehen in der Nähe verhoffende oder gedeckt angeschlichene Böcke entweder näherkommen oder sich ebenso empfehlen, wie sie gekommen sind. ... Der Ton muss natürlich, weich, zart oder wie in Bedrängnis, aber immer nach Reh, also echt, wirken. Manche moderne Blattinstrumente klingen viel zu hart, und bei einigen schwingen wahrscheinlich - von uns Menschen ungehörte - Töne mit, die eher abschrecken als anlocken. Philipp Meran, Der Rehruf, Graz, 2000
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Es ist noch dunkel. Einige Stücke stehen weit draußen im Feld. Das... ja, das scheint der Bock zu sein, auf den ich aus bin. Er nähert sich einer Geiß... beginnt zu treiben. Ich halte mich bereit und hoffe, dass die beiden näher kommen. Das tun sie, aber im Galopp. Die Geiß fiept. In etwa dreißig Meter Abstand rasen sie vorbei. Jetzt schlägt die Geiß einen Haken, prescht ins Unterholz, der Bock hinterher. Äste krachen, dann hat der Wald sie verschluckt. Stille. Meine Hoffnung, dass die beiden danach wieder austreten, erfüllt sich nicht. Als es tagt, ziehen auch die weit entfernten Rehe auf der gegenüberliegenden Seite ein. Noch ein Abend- und ein Morgenansitz, dann muss ich zurück. Ich beschließe, den Tag über an verschiedenen Stellen zu blatten. Nach dem Frühstück beginne ich damit beim Ilda-Wald. Bei der dritten Station springen mir eine Geiß und ein Kitz aufs Blatt. Sie starren haarscharf in meine Richtung. Ich rege mich nicht. Nach zwanzig, dreißig Sekunden zieht die Geiß wieder ein, das Kitz hüpft ihr nach. Ich folge dem Rat Philipp Merans und versuche, den Bock vom Hellen ins Dunkle zu locken. Dazu platziere ich mich beim nächsten Mal sitzend an einen Baum gelehnt im Windgehölz zwischen zwei Feldern, mitten in einem Wechsel. Aus welchem der beiden Felder wird ein Bock springen? Keine Ahnung. Ich entscheide mich für das nördlich gelegene Feld, weil das Schussfeld breiter und die Aussicht besser ist. Ich stütze die Ellbogen auf die Knie, um die Büchse rasch anschlagen zu können. Kaum habe ich mit dem Fiepen begonnen, trappelt ein Bock heran - aber vom Maisfeld hinter mir. Ich wende mich um, der Bock steht spitz und unmittelbar vor dem schmalen Einstiegsloch im Gebüsch. Natürlich schreckt ihn die Bewegung. Er springt sofort ab und schimpft lauthals, während auch ich mich ärgere.
Alle weiteren Versuche an anderen Orten bleiben ohne Reaktion. Ich kehre ins Jagdhaus zurück, spüle mir unter der Brause Schweiß und Frust vom Leib und ruhe auf der Terrasse in der Nachmittagssonne ein wenig aus.
Wenige Minuten nach 1800 Uhr habe ich auf demselben Sitz wie am Morgen Position bezogen. Es ist wunderbar still. Der Wind haucht aus dem Süden. Wenn ein Stück rechts von mir austritt, wäre dies hervorragend.
Kaum gedacht, steht der Bock, auf den ich warte, keine vierzig Meter rechts von mir am Waldrand. Dann zieht er völlig vertraut ins Feld. In Zeitlupe hebe ich die Büchse, folge ihm durch´s Visier und ziehe im passenden Moment durch.
Er bleibt im Feuer, schlägelt kurz. Ich verharre in Schussposition und brauche einige Sekunden, um mich zu fassen. Nach vier vergeblichen Anläufen nun so rasch und so einfach? Ohne Blatten.
Sorgfältig stelle ich die Büchse ab, löse die Uhr vom Handgelenk, verstaue alles ausser dem Messer im Rucksack und klettere vom Sitz.
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Horrido! |