23. 9. 2011 | Der Berghirsch | |||
Das Revier, in das ich eingeladen war, hat sieben Geweihträger im Abschussplan. Vier waren bei meinem Eintreffen erlegt, zwei davon bereits in der Feistzeit. Die schweren Geweihe dieser Berghirsche sind das Resultat jahrzehntelanger Hege ("bei uns wird jeder schwächere Hirsch aus der Fortpflanzung genommen"). Das Revier ist Teil eines Hegerings, der vor über sechzig Jahren gegründet wurde. Der Berufsjäger kennt und benennt die zum Abschuss frei gegebenen Hirsche. Der Hirsch, auf den ich gehen darf, heißt "Sigi". Die Jagd mit einem so kundigen Pirschführer ist natürlich ungleich leichter als eine Jagd in fremdem Gelände auf eigene Faust. Dennoch und gerade im Gebirge gibt es keine Garantie: Wetterkapriolen, wie plötzlich einfallender Nebel, und das Erfordernis, weit zu schießen, machen auch eine geführte Jagd zum unkalkulierbaren Ereignis. Im Vorjahr bin ich bei vier Ausgängen nicht zu Schuss gekommen. Ein Bekannter, der vor einigen Jahren in dieses Revier auf einen Hirsch eingeladen war, ist zwölfmal angereist, bis es geklappt hat. Das Liefern des erlegten Rotwilds in diesem Gelände ist schweißtreibend.
Umso entspannter und fröhlicher nach dem Liefern und Aufbrechen ist das gemeinsame Frühstück...
... und das Posieren.
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Der Signalton meines iPhones - der Chor der Jagdgenossen aus dem "Freischütz" - kündigt einen Jäger an. "Fünf Hirsche röhren im Revier! Fahr mit!" lässt F. sich aufgeregt vernehmen. So leid es mir tut - der Aufforderung meines Konsorten kann ich nicht nachkommen. Dem Hirsch, der in B. auf unserem Abschussplan steht, haben wir letzte Woche vergeblich nachgestellt. Ein zweites Mal kann ich es heute nicht versuchen: ich breche gerade auf, um der wiederholten Einladung eines befreundeten Jagdherrn in die heimischen Berge zu folgen. Ich hoffe, F. und C. schaffen es in B. ohne mich. --- Vier Uhr morgens. Wir stellen die leeren Teetassen ab und treten aus der Hütte. Es ist sternenklar. Mit dem Pick-up rumpeln wir die Serpentinen hinunter ins Tal. Wir durchfahren es und kurven am Talschluss den bewaldeten Gegenhang hinauf. Windwurf und Käferbefall haben den Kahlschlag eines großen Hanges erzwungen."Bei Licht kannst du dich nicht unbemerkt nähern. Das Kahlwild äugt unheimlich scharf. Wird es mißtrauisch, zieht es ab und der Hirsch hinterher" hat R. erklärt. Er hält und stellt Licht und Motor ab. Schweigend steigen wir aus und drücken leise die Türen zu. Wir lauschen dem Röhren von drei... nein, vier Hirschen in einer Senke im Nordosten. Der Hirsch, den wir angehen wollen, ist gestern Abend weit weg von dieser Gruppe im großen Schlag gestanden. J. taucht aus der Finsternis auf. Er bezieht einen Sitz in der Nähe, der ihm Einblick in unser Zielgebiet bietet. Der Wind ist günstig. Rüdiger geht voran. Die Forststraße knirscht unter unseren Schuhen. Behutsam folgen wir ihrem Verlauf. Über uns steht der Orion. Heute habe ich die Blaser R93 im Kaliber .270 WSM geschultert. Die Heym im Kaliber 30.06 ist mir vertrauter. Die Entfernung für das 180-Grain-Geschoss aber war mir gestern Abend zu weit. Nach etwa zwanzig Minuten erreichen wir den Einstieg zum Sitz. Gestern haben wir ihn weit umschlagen, um vom Hirsch, vom Tier und vom Kalb in seiner Begleitung nicht wahrgenommen zu werden. Wir nähern uns dem Ansitz in Zeitlupe und beziehen geräuschlos Position. Der Hang liegt noch völlig im Dunkeln. Vom Hirsch ist nichts zu hören. Wenn ich zu Schuss komme, werde ich vermutlich weit und steil hinauf schießen müssen. Ich folge dem Rat R.s und lasse den Hinterschaft auf dem Brett aufliegen. Die Schusshöhe kalibriere ich mit dem Wetterfleck unter dem Vorderschaft. In der Regel mache ich es umgekehrt und stelle die Höhe durch Heben oder Senken des Hinterschafts ein. Auf Entfernungen über zweihundert Meter ist es jedoch ratsam, den Hinterschaft zu fixieren. Im Glas werden Einzelheiten auf dem Steilhang sichtbar. Wurzelstöcke, Äste, Gras und Stauden bieten einen wirren Anblick und machen das Gelände schwer überschaubar. "Da!" flüstert R. Ich richte mein Glas nach dem seinen aus, aber kann nichts erkennen. "Der hohe, helle Stamm am Waldrand- hast du ihn?" "Ja." "Etwas darunter, fünf Meter weiter rechts, ein Wurzelteller. Vor dem steht er. 250 Meter." Jetzt habe ich den schemenhaften Umriss des Königs der Wälder im Glas. Ich greife nach der Büchse und suche ihn mit dem Zielfernrohr. Das Kalb rutscht ins Bild, den Hirsch aber finde ich nicht. Er hat sich bewegt. Erneut der Blick durchs Glas, dann wieder das Zielfernrohr. Endlich habe ich ihn im Visier und lasse ihn nicht mehr aus. Zu einem guten Schuss ist es noch zu dunkel. Gelassen bewegt sich der Hirsch auf kleiner Fläche hin und her. Einmal hebt er das Haupt und läßt zufrieden den Ruf "Hirsch beim Rudel" hören. Er hat keinen Konkurrenten in der Nähe. Es dämmert. Das Bild im Zielfernrohr wird klarer, schärfer. Jetzt steht er wieder breit vor dem Wurzelteller. Hell hebt sich seine Kontur von dem dunklen Hintergrund ab. Ich rücke den Vorderschaft zurecht, spanne, halte knapp hinter dem Blatt an, ziehe das Züngel durch. "Weidmannsheil" sagt R., das Glas an den Augen. Ich sehe auf. Der massige Körper des Hirschs kracht den Hang hinunter und bleibt nach etwa fünfzig Meter an einem Wurzelstock hängen. Das Kahlwild zieht ab. Ein junger Hirsch quert den Hang. Eine halbe Stunde verhalten wir uns ruhig, um ja keine Verbindung zwischen uns und dem Schuss zu konditionieren. Dann steigen wir auf.
Der Schuss am Haltepunkt. "Elfter Kopf, zweiundzwanzig Enden. Weidmannsheil" überreicht R. mir den Bruch. Nach dem Liefern und Aufbrechen frühstücken wir im Freien vor der Hütte. Ich rufe den Jagdherrn an und danke ihm für die überaus großzügige Einladung. Einen so mächtigen Hirsch (213 Nadler-Punkte) werde ich kaum wieder erlegen. |
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Horrido! |
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