Wer gefährdet die Solidarität?

10. 01. 2018

Wer braucht Solidarität?

Personen, die durch Krankheit, Alter, körperliche und / oder geistige Beeinträchtigungen an manchen / vielen Bereichen des Lebens nicht oder nicht mehr selbständig teilnehmen können, bedürfen der Solidarität ihrer leistungsfähigen Mitmenschen.

Kaum jemand wird diesen Satz beeinspruchen.

Dennoch sind die Vorstellungen in Gesellschaft und Politik, wer in welchem Ausmaß solidaritätswürdig ist, durchaus verschieden.

Deutlich wird dies an der aktuellen Diskussion zum Vorhaben der Regierung, das Arbeitslosengeld neu zu regeln.

Vereinfacht gesehen prallen zwei anscheinend unvereinbare Auffassungen aufeinander:

Arbeiterkammer, SPÖ, "linke" Vereine, NGOs und "linke" Experten beurteilen das Vorhaben, die Notstandshilfe abzuschaffen, als "schlicht und einfach asozial".

Überbordende Transferleistungen?

Die neue Regierung hingegen ortet bei Solidarleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung, Pensionen) und Förderungen aller Art eine Überbeanspruchung, die den Sozialstaat längerfristig gefährdet und die Bereitschaft der arbeitenden Steuerzahler zur Solidarität schwächt.

Kritisch sieht die Regierung etwa NGOs, die unter "Asyl" auch illegale Migration aus wirtschaftlichen Motiven verstehen, einen Tatbestand also, der von der Genfer Konvention nicht gedeckt ist.

Diese NGOs haben den Begriff des "Flüchtlings" erfolgreich für alle Personen popularisiert, die aus recht unterschiedlichen Motiven aus den entferntesten Ländern der Welt ungeregelt einreisen, um zu bleiben.

Dass solche NGOs an der Migration und vielen damit zusammenhängenden Aufgaben nicht uneigennützig interessiert sind, ist jedenfalls nicht zu bestreiten.

Die Regierung bezweifelt auch, ob alle Personen, die eine Leistung der Arbeitslosenversicherung oder eine Sozialleistung (Mindestsicherung) beziehen, nichts Dringlicheres wünschen, als aus dieser Leistung auszusteigen und ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten.

Die Regierung scheint auch die verschiedenen Formen des vorzeitigen Ausstiegs aus der Arbeitswelt bei deutlich gestiegener Lebenserwartung kritisch zu sehen.

Feinde der Solidarität

Gewiss gibt es politische Zyniker, denen die Verarmung und Benachteiligung von Menschen, die ihnen nicht nützlich sind, völlig gleichgültig ist. "Solidarität" ist für solche Politiker höchstens ein Sprachfertigteil für eine Sonntagsrede.

Es gibt aber auch Politiker / politische Organisationen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen mit immer neuen und besseren Transferleistungen geradezu bestechen.

Diese politische Praxis führt zu einer ständig steigenden Inanspruchnahme von Transferleistungen.

Damit wuchert ein Graubereich zwischen sozial gebotener Solidarität und zweifellosem Missbrauch.

Unter den arbeitenden Steuerzahlern wächst zugleich das Misstrauen gegenüber Transferleistungsbeziehern - oder das Bedürfnis, es ihnen gleich zu tun.

Der vorzeitige Ausstieg aus dem Arbeitsleben ist dazu ein lehrreiches, dramatisches Beispiel.

Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhundert von der damaligen Regierung in der Verstaatlichten Industrie als Alternative zu Freistellungen eingeführt ("Aktion 50 / 55") hat der Vorruhestand wie ein Flächenbrand auf alle Bereiche der Arbeitswelt in Österreich übergegriffen.

Versuche, diesen Brand zu löschen blieben zaghaft oder wurden von den Wählern bestraft (Abwahl der Schüsselschen Pensionsreform). Der vorzeitige Ausstieg aus dem Arbeitsleben vor dem offiziellen Pensionsanspruch wurde vielmehr in immer neuen Formen organisiert. Das Unvermögen der Sozialpartner, mehr Menschen bis zum offiziellen Pensionsalter in Beschäftigung zu halten, dauert bis heute an.

Den Graubereich verringern

Mittlerweile scheint eine Mehrheit der Österreicher eine Politik zu unterstützen / zu akzeptieren, die sich eine Durchforstung der Transferleistungen vorgenommen hat.

Die Diskussion, die dazu ausgebrochen ist, ist grundsätzlich zu begrüßen - auch wenn sie heftig verläuft und vor allem von den Gegnern der Durchforstung zum Teil recht polemisch geführt wird.

Im günstigen Fall können durch gründliche Diskussion überschießende Deregulierungen vermieden und kluge Lösungen gefunden werden. "Speed kills" hat sich als Problemlösetechnik in diesen komplexen Bereichen jedenfalls nicht empfohlen.

Im weniger günstigen Fall allerdings ist ein opportunistisches Einknicken der Reformer vor den Bewahrern auch möglich - das Herumeiern der Frau Sozialministerin und die "besorgten" Stimmen der Landeshauptleute sind dafür deutliche Indizien.

Post Scriptum 1 (nach der Frage eines Lesers nach meiner persönlichen Meinung)

Ich selbst halte das Vorhaben, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung auf eine Versicherungs- und eine Sozialleistung zu reduzieren, ordnungspolitisch für zweckmäßig.

Zur Ausgestaltung dieser Leistungen ist eine organisierte, zeitlich befristete Diskussion unter Beteiligung maßgeblicher Interessengruppen zielführend.

Ohne eine kluge, am Ziel der Reduktion festhaltende Moderation dieser Diskussion durch die Sozialministerin wird dabei freilich kaum etwas herauskommen, das klarer, administrativ einfacher und sozial akzeptaler ist als die derzeitigen Leistungen es sind.

Frau Hartinger-Klein erfüllt mich diesbezüglich nicht mit Zuversicht. Ich lass mich aber gern überraschen.

Post Scriptum 2 (nach heutigen Pressemeldungen)

Wenig Freude hatten die beiden Koalitionspartner augenscheinlich mit der Diskussionen der vergangenen Tage über die Pläne zur Neugestaltung des Arbeitslosengeldes. Diese könne „zu vielen Spekulationen und Verunsicherung“ führen, sagte Kurz. Laut dem Kanzler verständigte sich die Regierungsspitze nun darauf, dass die Regierungskoordinatoren Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ) gemeinsam mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) und Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) bis Jahresende ein Konzept ausarbeiten sollen [ORF ONLINE]

Möge die Übung gelingen.



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