Wohin mit der Sozialdemokratie?

29. 10. 2017

Der Dritte Weg

Die Idee vom Dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus geht auf die Spaltung der Arbeiterbewegung in Kommunisten und Sozialdemokraten zurück.

Gemeint war damit der Verzicht der Sozialdemokraten auf die proletarische Revolution zugunsten einer angeblichen Evolution der Gesellschaft hin zum Sozialismus.

Nach dem erstaunlich friedlichen Ende der Sowjetunion, dem einstigen Bollwerk der Hoffnung auf eine Alternative zum Kapitalismus, fühlte auch die Sozialdemokratie sich als Sieger.

Das war ein Irrtum.

Mit dem Bankrott des realen Sozialismus hatte der Wind der Geschichte auch den Dritten Weg, die Evolution zum Sozialismus, verweht. Die Sozialdemokratie hatte ihr ideologisches Fundament eingebüßt.

Blair und Schröder haben folgerichtig gehandelt: sie verstanden unter dem Dritten Weg nicht mehr den evolutionären Weg zum Sozialismus, sondern beschrieben nur noch - ideologisch überhöht - die tatsächliche Politik der Sozialdemokratie IM Kapitalismus.

Die traditionelle Linke in der Sozialdemokratie hatte zwar das historische Ziel verloren, behielt die Interessen der schrumpfenden Kernschicht der Sozialdemokratie aber im Blick: sie warf Blair und Schröder Appeasement an das Kapital und Abwendung von den Lohnabhängigen vor.

Der Widerspruch bricht auf

In Deutschland entstand in der Folge DIE LINKE. Sie spricht knapp 10 Prozent der Wähler an und schwächt die SPD nachhaltig.

In Österreich ist eine Spaltung in "linke" und "rechte" Sozialdemokraten bisher ausgeblieben. Das hat banale Ursachen:

Aufgrund der massiven personellen Verankerung der SPÖ in öffentlichen Institutionen (Magistrate, Kammern, Sozialversicherung etc), öffentlichen Unternehmen (zB ÖBB), kulturellen Einrichtungen und in manchen Medien verbinden sehr viele Menschen und ihre Familien berufliche und ökonomische Interessen mit dieser Partei.

Solange die SPÖ Regierungspartei ist, kann sie ihre Verankerung in diesem "Deep State" der vielen und vielfältigen Institutionen (nicht zuletzt in Wien) aufgrund ihrer exekutiven Macht immer wieder erneuern und absichern. Damit wahrt sie sich einen beträchtlichen Stock an Stammwählern. Er ist nach m. E. nicht unter 25% zu veranschlagen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es der SPÖ bisher gelungen, destabilisierende interne Auseinandersetzungen zu vermeiden. Linke Rhetorik und kapitalismuskonforme Praxis ließen sich unter dem Hut der Macht friedlich vereinen.

Allerdings wurde die linke Rhetorik angesichts der Integration der Sozialdemokratie und ihrer Führer in das kapitalistische System unter den Wählern zunehmend unglaubwürdig - gleichgültig, ob es dabei um CETA ging, um Beraterverträge, um Einkünfte sozialistischer Würdenträger oder um katholische Privatschulen, die SPÖ-Granden für ihre Sprösslinge bevorzugen, während sie gleichzeitg die "Gesamtschule" fordern.

Zynismus statt theoriegeleiteter Praxis

Wenn zwischen Theorie und Praxis ein immer größer werdender Spalt klafft, zieht Zynismus ein. Im Wahlkampf wurde der Zynismus der Verantwortungsträger in der SPÖ unübersehbar. Silberstein hat diesen Zynismus nicht in die Partei getragen. Er hat ihn vorgefunden und bedient.

Erfolglos. Die SPÖ hat trotz massiver Propaganda und unter Einsatz des Staatsfunks die Wahlen verloren. Der machtorientierte Ansatz, mit der FPÖ eine Regierung zu bilden, ist an den inneren Widersprüchen der SPÖ und äußeren Widerständen im Keim erstickt.

Allen Parteifunktionären ist klar: ist die SPÖ nicht Regierungspartei, ist ihre Verankerung auch im Deep State gefährdet. Vor allem dann, wenn sie nicht nur ein paar Jahre, sondern möglicherweise zwei oder gar drei Perioden nicht mehr an die Hebel der Macht käme.

Die heftigen Reaktionen der SPÖ und ihrer Parteigänger in den Institutionen des Staates, der Kultur und der Medien auf den Wahlsieg von ÖVP und FPÖ sind von dieser realen Befürchtung diktiert. Zugleich brechen in der SPÖ Richtungskämpfe und Personaldiskussionen aus.

Für´s erste ist eine Spaltung nicht in Sicht. Im Vordergrund steht das gemeinsame Bemühen der "linken" und "rechten" Sozialdemokraten, den politischen Besitz im Deep State zu verteidigen, VP und FP in einem anhaltenden Sperrfeuer als "rechtspopulistisch" und "neoliberal" zu verteufeln, Keile in die voraussichtlichen Regierungsparteien zu treiben und sie - womöglich mit internationaler Unterstützung - bei jedem sich bietenden Ansatz zu schwächen / sie zu stürzen.

Wie geht es weiter?

Gesetzt, die neue Regierung kommt ohne lange Querelen zustande, streitet weniger als die bisherige GROKO, arbeitet in den Augen der Bürger erfolgreich / passabel und zerfällt nicht nach kurzer Zeit, wie von der Opposition erhofft - spätestens dann muss die SPÖ sich strategisch neu orientieren, wenn sie eine Spaltung / einen Niedergang vermeiden will. Möglicherweise hat die Liste Pilz das Potential zu einem neuen Kristallationspunkt für heimatlos gewordene rote und grüne Linke.

Zunächst zu erwarten ist, dass die Granden der Partei nach einer neuen, charismatischen Führungsfigur Ausschau halten. Nach Kerns bisheriger Performance wird die künftige Regierung ihn auch nicht in der Rolle des Oppositionsführers fürchten. Ob die SPÖ daher auf Kern mehr oder weniger diskret verzichtet oder nicht und auf welche Persönlichkeit sie nach seinem Abgang ihre Hoffnung setzt, wird auch ein Indiz dafür sein, wie sie sich in der Parteienlandschaft positionieren will.

Für die Zukunft der SPÖ halte ich vor allem die Leistung der FPÖ für entscheidend. Kann die FPÖ auch als Regierungspartei den starken Zuspruch von früheren SPÖ-Wählern halten, festigen oder sogar ausbauen?

Wenn es ihr gelingt, als "soziale Heimatpartei" in der Regierung Interessen der Lohnabhängigen erfolgreich und überzeugend zu vertreten, gräbt sie der SPÖ Positionen ab, die früher "links" besetzt waren.

Wie immer: so lange keine ernsthafte Alternative zum kapitalistischen System sichtbar ist, sondern lediglich Varianten - vom anarchischen Neoliberalismus über den staatsmonopolistischen Kapitalismus Chinas bis zu einem allfälligen "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz" - die SPÖ ist eine kapitalistische Systempartei wie alle anderen auch und muss mit all diesen anderen Parteien im Rahmen dieses System konkurrieren.

Wer kann es besser?

Politische Parteien dienen unterschiedlichen bis gegensätzlichen gesellschaftlichen Interessen. Um mehrheitsfähig und damit regierungsfähig zu sein, müssen sie zwischen diesen Interessen aber auch erfolgreich vermitteln und mehrheitlich akzeptierte Lösungen in nicht nur einem Politikfeld finden.

Ob die SPÖ sich als dezidiert arbeitnehmerorientierte Partei positioniert, die in erster Linie darauf aus ist, die an die FPÖ verlorenen Wähler zurückzugewinnen oder ob sie eher mit der Volkspartei um gesellschaftliche Breite wetteifern will - in beiden Fällen ist zu vermuten, dass sie die Größe und Bedeutung, die sie vor dem Bankrott des Sozialismus im Westen hatte, nicht mehr erreichen kann.

Die Sozialdemokratie als Partei des Dritten Wegs ist Geschichte.



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