ÖXIT?

08.07. 2016

Gesetzt, der Austritt Österreichs aus der EU stünde zur Wahl: wäre eine Mehrheit dafür zu gewinnen? Ich vermute: Nein. Auch jüngste Meinungsumfragen bekräftigen diese Vermutung, obgleich die Zahl der ÖXIT-Befürworter für mein Empfinden erstaunlich hoch ist.

Dass 47 Prozent der Österreicher mit einem Austritt "liebäugeln" ist angesichts der veröffentlichten Empörung über den BREXIT und der flächendeckenden Angst- und Gräuelpropaganda in den Medien umso bemerkenswerter.

Zunehmendes Unbehagen mit der EU ist jedenfalls abzulesen an gesunkenen Zustimmungsraten und am Zuspruch für EU-kritische Positionen innerhalb und außerhalb des traditionellen Parteien-Spektrums.

Ein Teil der Wähler wendet sich ab von Parteien, die seit Jahrzehnten mit satten Mehrheiten die politische Hegemonie in den Mitgliedstaaten ausüben und sich mit der EU vorbehaltlos identifizieren. Politiker dieser Parteien sind irritiert.

Sie verurteilen den "Populismus" von EU-Kritikern und brandmarken eine verhängnisvolle Tendenz zur "Renationalisierung", zur "Ausländerfeindlichkeit" und zum "Rechtsextremismus".

Der Staatsfunk, das Staatsfernsehen und die Hegemonie-affinen Printmedien berichten über EU-kritische Strömungen mit gerümpfter Nase. Manche Kommentatoren konzentrieren sich auf das Heruntermachen EU-kritischer Positionen und Politiker mit geradezu obsessiver Gehässigkeit.

Die Resonanz EU-kritischer Positionen in der Bevölkerung erklären diese Kommentatoren damit, dass vor allem ungebildete, unqualifizierte und auf dem Lande lebende Menschen das Opfer populistischer Verdrehungen und Lügen werden.

Nicht selten werden diese Menschen von Politikern und Journalisten auch als "Modernisierungsverlierer" ironisiert. Nur "urbane", "gebildete" und "weltoffene" Menschen wissen demnach, wo es lang zu gehen hat.

Herablassende Polemik dieser Art geht an der Sache vorbei. Wie bei allen politischen Fragen bestimmen Interessen, Vor- und Nachteile die jeweilige politische Position.

Wer also profitiert von der EU stark, wenig oder gar nicht?

Unmittelbar und stark profitieren von der EU exportorientierte Industrielle und Unternehmer, gut qualifizierte Mitarbeiter in den dazu gehörenden Betrieben, international tätige Manager, Beamte, Diplomaten, Korrespondenten, Frächter, Wissenschafter, Mitarbeiter von EU-bedingt eingerichteten oder aufgestockten Institutionen und Verwaltungsstellen, NGOs etc.

Der spürbare Nutzen der EU nimmt ab mit der Entfernung zu diesen Gruppen. Einfache Arbeiter und Angestellte und kleine Unternehmer erfahren nicht nur ein geringeres Maß an günstigen Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft. Im Gegenteil.

Sie führen Reallohnverluste, die fortlaufende Verdünnung ihres Ersparten, Arbeitskräftekonkurrenz aus dem nahen und fernen Ausland, steigende Mieten und Immobilienpreise sowie vermehrte Bürokratielasten unmittelbar auf Aktivitäten oder Unterlassungen der EU und ihrer Einrichtungen (zB die EZB) zurück. Vom Glühlampen-Verbot und ähnlichem nicht zu reden.

Wenn der Zuspruch der Europäer zur EU nicht weiter rückläufig sein soll, müssen diese Menschen sich in der EU wiederfinden.

So weit ich sehe, spricht freilich wenig dafür, dass die EU-Nomen-klatura die Interessen dieser Menschen in den Fokus nimmt.

Die EZB senkt anhaltend die Kaufkraft stagnierender Löhne, um einer angeblichen "Deflation" vorzubeugen. Gegen unerwünschte Zuwanderung sind nur Nationalstaaten aktiv. Die Nomenklatura setzt die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fort. Manche EU-Politiker sehen ausgerechnet nach dem BREXIT den Zeitpunkt für eine "Vertiefung" der Union gekommen.

Eine europaweite Wirtschaftsgemeinschaft in durchlässigen konzentrischen Kreisen um einen verkleinerten "Hart-Euro-Raum" wäre im Vergleich dazu ein bescheideneres alternatives Konzept.

Ein solches "Europa der Vaterländer" (de Gaulle) wäre weniger EU, aber mehr Europa.

Die geopolitischen Interessen der EU als Wirtschafts-NATO scheinen in der Nomenklatura jedoch weiterhin schwerer zu wiegen als ökonomische, soziale, kulturelle und politische Interessen eines großen Teils der Europäer.



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