Neokolonialismus?

01. November 2024


Falsches Wahlergebnis

Wie in einer Nussschale enthüllt die Berichterstattung in der EU zu den Wahlen in Georgien das Selbstverständnis des EU-Establishments und seines medialen Apparates.

Schon im Vorfeld der Wahlen war laut EU-Medien klar:

# Der "Georgische Traum" verfolgt eine russophile Politik und wird die Wahlen manipulieren. Umso dringlicher war die Unterstützung der "pro-europäischen Opposition" durch EU-Politiker und EU-NGOs. Vor Ort besonders hervorgetan hat sich dabei der SPD-Politiker Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages (1).

# Die Wahlhilfe der EU für die Opposition in Georgien war natürlich keine "Einmischung" in die inneren Angelegenheiten dieses Staates. Sie ist allein der Sorge der EU entsprungen, dass die Wähler - irregeführt durch den putinophilen "Georgischen Traum" - eine falsche Entscheidung treffen.

# Diese Hilfe war erfolgreich und die Wähler haben richtig entschieden! Denn gleich nach Schließung der Wahllokale wusste die "pro-europäische Opposition", dass sie die Wahlen gewonnen hat und der "Georgische Traums" die Wahlen manipuliert und das Ergebnis verfälscht hat (2).

Das Problem: es fehlen Beweise. Den politischen Eiertanz dazu kann man anhand dieses ORF-Artikels nachvollziehen:

"Augenauswischerei" nach Georgien-Wahl...

... Sowohl die teilweise Neuauszählung als auch Ermittlungen seien "Versuche, diese Wahl international zu legitimieren", sagt Stephan Malerius, Leiter des Georgien-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis, im Gespräch mit ORF.at. Wahlkommission und Staatsanwaltschaft seien "absolut der Regierung untergeordnet, sie agieren nur auf Weisung", so Malerius. "Wir haben keine unabhängige Wahlkommission, wir haben hier keine unabhägige Justiz", sagt er....

... Die Vorwürfe richteten sich weniger gegen die Auszählung der Stimmen - beklagt wurden vielmehr ungleiche Bedingungen im Wahlkampf, Übergriffe auf Oppositionsparteien, Stimmenkauf und Druck auf Wählerinnen und Wähler.

Einige EU-Regierungen bemängelten "Unregelmäßigkeiten" bei dem Urnengang. EU-Ratspräsident Charles Michel forderte, die Betrugsvorwürfe "schnell, transparent und unabhängig" zu untersuchen. US-Präsident Joe Biden äußerte sich nach der Wahl "zutiefst besorgt" angesichts der "Einschüchterung von Wählern" und warnte vor Rückschritten für die Demokratie in Georgien.

Nach der Auszählung fast aller Stimmen hatte die Wahlkommission den zunehmend autoritär regierenden und verstärkt Russland zugewandten Georgischen Traum mit 53,9 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Das proeuropäische Oppositionsbündnis käme auf rund 37,8 Prozent. Bei dem Vorwurf des Wahlbetrugs spreche die Opposition von zwölf Prozent der Stimmen, die ihr zugeschrieben werden müssten, meint Malerius - das entspreche etwa 250.000 bis 300.000 Stimmen.

Was allerdings den Vorwurf der Wahlfälschung betrifft, habe dafür "derzeit niemand Beweise", meint der Experte - diese gelte es, sollten sie existieren, nun zu erbringen, daran arbeiten derzeit Zivilgesellschaft und Opposition und Wahlbeobachter. "Von dieser Beweisführung hängt momentan extrem viel ab. "Denn nur wenn es tatsächlich Beweise gibt, würde die EU die Wahl als nicht legitim bezeichnen.

Aktuell kommt aus Brüssel Kritik an der Regierung. So hieß es am Mittwoch von der EU-Kommission, dass Georgien seit Erlangung des EU-Beitrittskandidatentitels Ende 2023 "signifikante Rückschritte" gemacht habe. Die Regierung wurde zudem erneut aufgefordert, zwei umstrittene Gesetze zurückzuziehen: das "Agentengesetz", das NGOs und Medien gängelt, und das LGBTQ-Gesetz, das Rechte von sexuellen Minderheiten einschränkt.

Zugleich will die EU künftige Beitritte an einen Bruch mit Russland knüpfen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell appellierte am Mittwoch insbesondere an Georgien, sich zu entscheiden. Beitrittsanwärter könnten nicht Beziehungen zu Russland aufrechterhalten "und erwarten, dass das eigene Land Teil der Europäischen Union wird", so Borrell.

"Die EU ist nach wie vor entschlossen, die Partnerschaft mit Georgien weiter zu vertiefen, wie es dem Wunsch der großen Mehrheit der georgischen Bevölkerung entspricht", heißt es von der Kommission. "Wenn Georgien nicht von seiner derzeitigen Vorgehensweise abweicht, die seinen Weg in die EU gefährdet (...), wird die Kommission nicht in der Lage sein, die Aufnahme von Verhandlungen mit Georgien zu empfehlen" [ORF ONLINE]

Fazit: Wenn schon keine Beweise gefunden werden sollten, genügt im Zweifelsfall der Verdacht, um Georgiens Regierung zu delegitimieren und den Kampf um die Wahrheit und die richtige politische Orientierung Georgiens fortzusetzen.

EG einst und EU jetzt

Das Beitrittsansuchen Österreichs wurde am 17. Juli 1989 an den damaligen französischen Außenminister Roland Dumas, in seiner Funktion als Vorsitzender des Außenministerrates der Europäischen Gemeinschaft (EG), übergeben. 1993 wurden Verhandlungen aufgenommen. Nach einer Volksabstimmung - als begeisterter Europäer habe ich dafür gestimmt - ist Österreich 1995 der EG beigetreten.

Nach dem Bankrott der Sowjetunion sind neue Länder wesentlich schneller und unter Akzeptanz beträchtlicher ökonomischer Unterschiede und recht unterschiedlicher politischer Kulturen in die EU aufgenommen worden. Maßgeblicher für die EU-Integration als alle anderen Kriterien war der Beitritt dieser Länder zur NATO.

Am Beispiel Georgiens wird deutlich, dass die EU mittlerweile noch einen Gang höher geschaltet hat. Sie wartet nicht auf Beitrittsansuchen. Sie will Georgien unbedingt eingliedern, genau wie die Ukraine, Moldawien und irgendwann auch Armenien. Dazu delegitimiert sie mit allen verfügbaren Mitteln die zweifelnden oder widerstrebenden Kräfte in diesen Ländern und versucht sie mithilfe massiver politischer Einmischung und Sanktionen auszuschalten.

Ist das offensive Eingliederungspolitik oder schon Neokolonialismus?

Welche Etikettierung zutreffender ist hängt m. E. von den Methoden dieser Politik ab. Sie beschränken sich jedenfalls nicht auf die publizistische und politische Unterstützung von "pro-europäischen Kräften" bei gleichzeitigem Respekt vor der Souveränität des betreffenden Landes.

Vielmehr agitieren EU-Einrichtungen, NGOs und Partei-Tentakel wie die Konrad-Adenauer-Stiftung in diesen Ländern ungeniert gegen Zauderer und Gegner einer EU-Integration, sprechen gezielt elitäre Potenziale (Studenten etc) an und ködern sie mit beträchtlichen finanziellen Zuwendungen (3). Letztlich könen die "Pro-Europäer" in diesen Ländern auch mit massiver militärischer Unterstützung rechnen. Nur ihre Haut müssen sie im Konfliktfall selbst zu Markte tragen.

Werden solche vom Ausland finanzierten Organisationen wegen Einmischung in innere Angelegenheiten des Gast-Staates in ihrem Aktionsradius beschränkt oder gar verboten ist dass nur ein Beweis für den bösen Charakter der jeweiligen Regierung (4).

Könnte es sein...

dass Menschen in Georgien, in Moldawien etc am Beispiel der Ukraine zur Einsicht gelangen, dass sie nur Material im Spiel der Mächtigen sind? Dass sie sich daher nicht mit Haut und Haar für die eine oder andere Seite entscheiden wollen mit dem Risiko, dabei zermalmt zu werden?

Wenn sie zugleich die Erfahrung machen, dass Neutralität nicht von beiden Mächten, sondern nur von einer Seite als ausreichend für ein sanktionsfreies, unbehelligtes Leben akzeptiert wird - zu welcher Seite würden sie eher neigen?

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(1) Kein Medium in der EU hält es für "Einmischung", wenn westliche NGOs und Stiftungen in Ländern Wahlwerbung machen, die sich die EU zur Eingliederung vorgenommen hat. Selbst wenn EU- und US-Politiker in solchen Ländern persönlich auftreten und Reden vor oppositionellen Versammlungen schwingen wie 2014 beim Putsch in der Ukraine oder wie jetzt bei Wahlen in Georgien fällt dieses Verhalten nicht unter "Einmischung". Hingegen mischt sich Russland - ohne NGOs, Stiftungen etc und für die breite Öffentlichkeit daher unsichtbar, aber nach Medienberichten sehr effektiv! - laufend in Wahlen und Entscheidungen im "Westen" ein: AfD, BSW, FPÖ, Orban etc sind Putin-hörig und Trump ist Putins Marionette! Sogar der BREXIT soll auf das Konto "Putins" gehen.

(2) Es gilt: Wahlen, deren Ausgang Missfallen im "Westen" erregt, sind durch Druck und Fälschungen manipuliert oder entsprechen nicht den Standards, die Wahlen im eigenen Herrschaftsbereich auszeichnen. Wahlergebnisse aus Russland, aus der Krim, aus Weissrussland, Venezuela etc legitimieren die Gewinner daher nicht (in Venezuela zB haben Umfrageergebnisse der Opposition im "Westen" als verlässlicher gegolten). Nur wenn Trump behauptet, ihm sei der Wahlsieg gestohlen worden, ist das gelogen.

(3) Der Einkauf eines kritischen Teils der Elite eines unterworfenen Landes ist eine alte, meist erfolgreiche Herrschaftstechnik. Die Römer haben sie bei einer Reihe von umwohnenden Völkern eher mit mehr als mit weniger Erfolg praktiziert. Auch den USA ist dies mit Westeuropa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hervorragend gelungen ("Transatlantiker"). Nun praktiziert diese Technik auch die EU in Ost- und Südost-Europa - immer noch im Schatten der USA, aber zunehmend im überhöhten Selbstverständnis eines europäischen Imperiums. Wann wird die EU realisieren, dass sie in den USA keinen selbstlosen Freund hat und sie sich mit ihrem Vasallen-Verhalten zu Russland und China zwischen alle Stühle gesetzt hat? Tag für Tag verliert sie an ökonomischer und politischer Potenz im Verhältnis zu den USA und zur BRICS-Konglomeration.

(4) Natürlich unterbinden auch die USA und andere Staaten im "Westen" den Zugang zu missliebigen ausländischen Medien, stellen die Verbreitung von "Fake-News" unter Strafe und untersagen ausländischen Einrichtungen, sich politisch einzumischen. Es gilt der Grundsatz der "regelbasierten Ordnung" des Westens: Quod licet iovi non licet bovi.



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