Mega-Investitionen ohne Mega-Plan?

11. September 2024

Einen Wahn verlieren macht weiser als eine Wahrheit finden

Ludwig Börne


Richtige Analyse...

Wie Draghi am Montag in Brüssel erklärte, benötige die Europäische Union zusätzliche Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr, was etwa vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU entspreche. Das wäre - gemessen an der Größe der Wirtschaft - mehr als doppelt so viel, wie durch den Marshallplan in der Nachkriegszeit in Europa investiert wurde...

Zur Finanzierung dieser Vorhaben bringt Draghi die Möglichkeit ins Spiel, dem Vorbild des 800 Milliarden Euro schweren "Next Generation EU"-Fonds zu folgen, der durch gemeinsame Schulden finanziert wird. Dieser Vorschlag dürfte jedoch auf Widerstand stoßen, insbesondere in Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, die einer stärkeren fiskalischen Integration kritisch gegenüberstehen [TELEPOLIS]

Die EU braucht Mega-Investitionen, um gegen USA und China zu bestehen - dieser Analyse Draghis können auch seine Kritiker kaum widersprechen. Gesetzt, diese Investitionen kommen trotz realer Hindernisse und politischer Vorbehalte zustande und das Ergebnis ist eine Industrie in der EU, die mit den Industrien der USA, Chinas, Indiens etc mithalten kann - auf welchen Märkten genau will sie diese Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen? Wohin genau wird sie ihre Güter exportieren? Im Austausch gegen welche Importe aus welchen Ländern?

Aktuell gestaltet die EU ihre politischen und ökonomischen Beziehungen nach den Vorgaben der USA. Zu Russland hat sie alle Beziehungen gekappt. Gegenüber China und Ländern in Asien, Lateinamerika und Afrika, die das Sanktionsregime der USA nicht mittragen, minimiert sie Beziehungen oder bindet sie an politische Vorgaben ("Werte").

Die EU entfernt sich mit dieser Praxis aus der Position, Marktpotentiale außerhalb des "Westens" anzusprechen oder gar auszuschöpfen.

Außerhalb des "Westens" aber lebt die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung. Immer mehr Länder in diesen Teilen der Welt nähern sich den BRICS an. Selbst das NATO-Land Türkei will den BRICS beitreten. Verwunderlich ist das nicht:

... entfielen 1994 auf die westlichen G7-Länder, und das sind Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Vereinigtes Königreich und die USA, 45,3 Prozent der Warenproduktion in der Welt, verglichen mit 18,9 Produzent auf die BRICS-Länder, wozu Brasilien, China, Ägypten, Äthiopien, Indien, Iran, Russland, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören.

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Die Brics-Länder produzieren heute 35,2 Prozent der Weltproduktion, während die G-7-Länder nur noch 29,3 Prozent herstellen.

Seit 2022 sind die fünf größten Volkswirtschaften in absteigender Reihenfolge China, die USA, Indien, Russland und Japan. Chinas BIP (Brutto-Inland-Produkt) ist um etwa 25 Prozent größer als das der USA. Pro Person beträgt es etwa 30 Prozent des BIP der USA, aber bei einer 4,2-mal so großen Bevölkerung.

Heute sind drei der fünf wirtschaftlich größten Länder Mitglied in der BRICS, während nur zwei davon Mitglied der G7 sind. Im Vergleich zu 1994 haben sich auch hier die Verhältnisse geändert. Denn vor 30 Jahren waren die USA, Japan, China, Deutschland und Indien die fünf wirtschaftlich größten Staaten, von denen noch drei zu G7 und nur zwei zu Brics gehörten. [Jeffrey Sachs]

...falsche Strategie

Wie sollen sich "Mega-Investitionen" rechnen, ohne gedeihliche politische und ökonomische Beziehungen zu den Ländern der BRICS? Beziehungen entlang europäischer Interessen, also ohne Gängelung dieser Beziehungen durch die USA?

Die USA scheinen hartnäckig das Ziel zu verfolgen, die Länder außerhalb des Westens niederzuhalten oder sich Zugang zu ihren Ressourcen und Märkten durch militärische Mittel zu verschaffen. Als fügsame Juniorpartner machen die Transatlantiker in der EU bei dieser neokolonialen Strategie mit, obwohl der Schaden, den sie Europa dadurch zufügen, unübersehbar geworden ist. Umgekehrt scheren die USA sich um die Interessen Europas keinen Deut, gleichgültig, wer im Oval Office sitzt.

Je unrealistischer die Strategie, umso fataler das Ergebnis. "Mega-Investitionen" in Europa aufzubringen, um ein illusionär gewordenes Ziel der USA mitzufinanzieren, wird in einem Desaster für Europa enden.

Im Zweiten Weltkrieg haben die USA nur die Hegemonie im Westen errungen. Seither haben sie kein einziges Land, das sie angegriffen, besetzt oder sanktioniert haben, in den "Westen" ziehen können. Es hat überall nur zur Devastierung und zur Steigerung von Misstrauen und Hass gegen den Westen gereicht. Die Macht des Westens und sein Ansehen in der Welt haben nicht zugenommen. Ganz im Gegenteil.

Die Transatlantiker, zumal in Deutschland, scheinen dafür blind. Sie binden sich sogar freiwillig eine Zielscheibe auf den Rücken. Sie erlauben den USA, ihre Raketen gegen Russland mitten in Europa in Startposition zu bringen. Wenn der vernichtende Erstschlag der USA nicht klappt, treffen die Vergeltungsschläge nicht die USA, sondern die Länder der EU.

Nur die dümmsten Kälber...



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