Freunde |
02. 05. 2024 Mit vielen befreundet sein ist in der Weise der vollkommenen Freundschaft nicht möglich, wie man auch nicht viele gleichzeitig lieben kann Aritoteles, Nikomachische Ethik "Friends" und "Influencer" Zu Freunden können Menschen werden, wenn sie etwas gemeinsam tun, erfahren oder erleiden. Zwischen Spielgefährten, Schulkameraden, Arbeitskollegen, Jagdgenossen, Bergkameraden oder Menschen, die der Zufall zu einer Gemeinschaft zusammengewürfelt hat, wie auf einer Reise oder beim Militär können sich nachhaltige Beziehungen entwickeln, die wechselseitig als "Freundschaft" erlebt und bezeichnet werden. Das war so bis zur Erfindung von Facebook. Seither kann jeder leicht und schnell zu vielen Freunden kommen. Ein Klick auf ein Facebook-Profil genügt. Dieses Freundschaftsangebot kann der Profil-Inhaber ablehnen. Sein Ehrgeiz aber besteht meist darin, so viele Freunde zu sammeln wie möglich. Also lehnt er nicht ab und erklärt sich im Gegenzug ebenfalls zum Freund des neuen Freundes. Der ist darüber entzückt, weil auch er leidenschaftlich Freunde sammelt. Je mehr Freunde wer hat, umso bekannter und wichtiger ist er oder sie. Von nun an belohnt man einander mit "likes" anläßlich neuer Einträge / Fotos / Meinungsäußerungen im Profil. Die Inflation der Freundschaft durch Facebook weckte bald ein Bedürfnis nach Differenzierung. Seither unterscheidet Facebook "Follower" von "Friends". Ein Follower muss kein Freund sein. Bestimmte Inhalte des Profils können Freunden vorbehalten werden. Im Durchschnitt hat ein Facebook-Nutzer 342 Freunde. Mehr als Tausend Freunde haben etwa fünf Prozent der Nutzer. Wer zwischen 10.000 bis 50.000 Follower hat, gilt als "Micro-Influencer". Ab einer Million Followern fällt man in die Kategorie der "Macro-Influencer" [hi! share.that]. 3700 Freunde Facebook-Freunde wissen voneinander oft nur, was sie im Netz von sich geben. Von Angesicht zu Angesicht kennen viele einander gar nicht. Aber auch Freundschaften auf Basis rudimentärer, zuweilen sogar fiktiver Informationen über die Biografien und Lebensumstände der miteinander vernetzten Personen werden nach Goethes Prinzip behandelt: ("Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist"): So viel steht fest: General Robert Brieger war nicht der Einzige, der mit dem indiskutablen Facebook-Profil eines mittlerweile pensionierten Polizisten befreundet war. Neun Jahre lang postete der Beamte teilweise täglich EU-feindliche, prorussische, rassistische und den Holocaust verleugnende Inhalte. Unter seinen über 3700 Freunden waren prominente FPÖ-Politiker, Polizisten und bekannte Angehörige des Bundesheeres [DER STANDARD].
Es gilt: Die Kommunikation über elektronische Medien schließt privat bleibende Kontakte de facto aus, wie die Erfahrung lehrt. Mit der Begründung, Terrorismus, Geldwäsche etc verhindern zu müssen, überwachen Polizei und Geheimdienste Chats, Korrespondenz und Kontakte im Netz und speichern sie. Auch persönliche Gesundheits- und Fitnessdaten, die zahllose Menschen über zum Teil kostenlose Applikationen tagtäglich einspeisen, sind davon kaum ausgenommen. Die Masse dieser Netz- und Kommunikationsinhalte freilich ist trivial und politisch bedeutungslos. Fällt jemand jedoch inkorrekt auf, werden seine Daten gesichtet, analysiert und gegebenenfalls politisch und juristisch instrumentalisiert. In erster Linie sind davon politische Funktionsträger und Wahlwerber betroffen. Zum richtigen Zeitpunkt tauchen Chats und Kontakte mit kompromittierbarem Potential in Medien auf, die dazu Empörung schüren. Hauptsache, die Kampagne funktioniert politisch. Ob dabei juristisch etwas herauskommt oder nicht entscheidet sich viel später und ist daher unwichtig. Mitteilungen, die privat bleiben sollen, sind gegen Überwachung und Missbrauch immer schwerer zu schützen. Private Kommunikation im Netz kommt ohne mündlich vereinbarte Codes nicht aus. Kryptische Texte freilich machen Sender und Empfänger wohl erst recht verdächtig. "Ware Freundschaft" und "Wahre Freundschaft" Unter "Freundschaft" firmieren unterschiedliche Beziehungen. Am weitesten verbreitet sind wohl Zweck-Freundschaften. Sie dienen einem bestimmten wechselseitigen Nutzen, wie das etwa unter Geschäfts-, Sport- oder Parteifreunden oder zwischen Politikern und Journalisten der Fall ist. Am Warencharakter solcher Freundschaften [do ut des] ist nichts Verächtliches. Sie erlöschen, wenn die Interessen der Beteiligten sich verändern oder der wechselseitige Nutzen gestört wird, etwa wenn der Geschäftsfreund ein anderes Angebot vorzieht, ein Golffreund den anderen mit dessen Frau betrügt oder der Parteifreund zum Konkurrenten um eine begehrte Funktion mutiert. Das Lied "Wahre Freundschaft" hingegen besingt mit starken Metaphern eine Freundschaft, die über alle Fährnisse hinweg ein Leben lang aufrecht bleibt. Eine solche Beziehung erinnert an das antike Ideal der "vollkommenen Freundschaft": Sie verknüpft in sich alles, was bei Freunden vorhanden sein muss. Denn die Freundschaft existiert wegen des Guten oder wegen der Lust, entweder schlechthin oder für den Liebenden und beruht auf einer gewissen Ähnlichkeit... Es ist freilich anzunehmen, dass solche Freundschaften selten sind. Denn wenige Menschen sind derart. Außerdem bedarf es langer Zeit und Gewöhnung. Denn wie das Sprichwort sagt, kann man einander nicht kennen, bevor man nicht jenes bekannte Salz miteinander gegessen hat... Auch herrscht unter diesen (Freunden) Vertrauen und dass man einander niemals Unrecht tut und was sonst als zur wahren Freundschaft gehörig gilt. In den andern Freundschaften können aber derartige Schwierigkeiten wohl vorkommen [Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1156 b18 - 1157 a24] Lebenslange Freundschaft über alle individuellen Veränderungen und Entwicklungen der Freunde hinweg setzt meist ein Mindestmaß an sozialer Homogenität voraus: Herkunft aus der gleichen Gesellschaftsschicht, vergleichbares Bildungsniveau, vergleichbare Einkommensverhältnisse. Der beste Freund eines Industriellen ist wohl selten der Bauarbeiter, der einst denselben Kindergarten besucht hat - sofern das bei so weit auseinanderliegenden Verhältnissen überhaupt vorkommt. Die herzbewegendsten Freundschaften entstehen zwar zwischen Kindern und Jugendlichen, halten aber nur an, wenn sie gepflegt werden (1). Freunde im Geist Zwischen den Hunderten Facebook-Friends und dem "besten Freund" gibt es im Leben viele Beziehungen von unterschiedlicher Qualität, Intensität und Dauer, die als "Freundschaft" gelten. Zu den nachhaltigsten Beziehungen rechne ich Teile meiner Bibliothek. Autoren, die ich außerordentlich schätze, nehme ich immer wieder zur Hand. Sie bereichern mein Leben durch Hinweise, Einsichten und Urteile, die ich mir zu eigen mache, wenn sie meine Erfahrungen erhellen und meine Handlungen erfolgreich leiten. Ereignisse und Entwicklungen im Dialog mit ihren Methoden und Kategorien wahrzunehmen und zu beurteilen ist mir zur zweiten Natur geworden. Macchiavelli ehrte seine Freunde im Geist auf besondere Weise: Wenn der Abend kommt, kehre ich nach Hause zurück und gehe in mein Schreibzimmer. An der Schwelle werfe ich die Bauerntracht ab, voll Schmutz und Kot, ich lege prächtige Hofgewänder an und, angemessen gekleidet, begebe ich mich in die Säulenhallen der großen Alten. Freundlich von Ihnen aufgenommen, nähre ich mich da mit der Speise, die allein die meinige ist, für die ich geboren ward. Da hält mich die Scham nicht zurück, mit ihnen zu sprechen, sie um den Grund ihrer Handlungen zu fragen, und herablassend antworten sie mir [Brief an Francesco Vettori - 10. Dezember 1513] _______________________________ |
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