Besatzungspolitik

22. 01. 2024

Nicht alle Menschen haben die gleichen Rechte.
Tatsächlich haben die Zivilisierten das Recht,
die Nichtzivilisierten zu beherrschen,
die Barbaren wegen ihrer angeborenen moralischen
Minderwertigkeit zu erobern und zu versklaven,
ihren Boden zu annektieren, zu besetzen
und zu unterwerfen...

Das Recht ist in diesem Fall also die Begründung
einer bestimmten Idee der Menschheit,
wonach diese in eine Rasse von Eroberern
und in eine Rasse von Unterjochten unterteilt ist.

Achille Mbembe (1)



Peinliche Aufrichtigkeit

Israel versteht sich als Nationalstaat des jüdischen Volkes und hat dies ausdrücklich in seinem Nationalstaatsgesetz festgeschrieben. Vor 57 Jahren hat Israel zusätzliches Territorium besetzt. Millionen Palästinenser, die dort leben, sind gegenüber dem Staat Israel rechtlos [HUMAN RIGHTS WATCH|.

Daran soll sich nichts ändern:

Israel must maintain "security control" of all territory west of the Jordan River meaning, Israel, the West Bank and Gaza [The Times of Israel].

Israel lehnt aber auch die Zweistaaten-Lösung ab:

During a combative press conference Thursday evening, Prime Minister Benjamin Netanyahu rejected the prospect of Palestinian statehood after the Israel-Hamas war in Gaza, and vowed to resist the United States on the matter [The Times of Israel].

Im Klartext:

Israel schließt einen gemeinsamen Staat und einen palästinensischen Nachbarstaat aus. Israel stellt die Palästinenser vielmehr vor die Alternative auszuwandern oder in ihrer eigenen Heimat als peregrini (2) zu vegetieren.

Die meisten Staaten der Welt außerhalb des Machtbereichs der USA nehmen Israel aufgrund dieser Politik als Besatzer und als Apartheidstaat wahr. Israel weist diese Wahrnehmung als "Antisemitismus" zurück. Die Publizisten im "Westen" folgen in der Regel diesem Verdikt - ungeachtet des Faktums, dass die national-religiöse Politik Israels auch von Juden kritisiert wird (3).

Das Vorgehen Israels in Gaza, die Klage Südafrikas wegen Völkermords [ein ausführlicher Artikel in der "Wiener Zeitung"] und die trotzigen Äußerungen Netanyahus bringen die Unterstützer Israels im Westen jedoch in Verlegenheit.

Nicht, weil die USA und EU-Staaten wie Deutschland Israels Vorgehen ernsthaft verurteilen - sonst würden sie in der UNO anders abstimmen und Israel sanktionieren - sondern weil Netanyahus Äußerungen ihre politischen und ökonomischen Interessen im weltweiten islamischen Raum schädigen.

Biden beharrt daher formal auf der uralten Forderung einer Irgendwie-Zweistaatenlösung:

Despite the Israeli premier´s open resistance, Biden said Friday after their phone call that Netanyahu might eventually agree to some form of Palestinian statehood, such as one without armed forces [FRANCE 24]

Ein Staat ohne Armee ist ein Micky-Maus-Staat. Dass die Palästinenser darauf eingehen kann Biden nicht erwarten. Die Karotte eines Staates soll dem Esel Palästina nur weiter vorgehalten werden. Diplomatisch heißt so etwas "Prozess". Netanyahu aber spielt nicht einmal bei dieser Komödie mit und widerspricht Biden erneut.

Wie lang kann das gehen?

Israel hält sich aufgrund seiner Atomwaffen offenbar für stark genug, seine Besatzungspolitik notfalls auch ohne oder gar gegen die USA fortsetzen zu können.

Wie lange und zu welchem Preis ist offen. Wenn Israel zu keinem Kompromiss bereit ist, müssen seine Bürger mit dem Terror der Besetzten leben und die Besetzten mit dem Terror der Besatzer. Millionen Palästinenser zu vertreiben oder umzubringen ist jedenfalls unrealistisch: dazu ist die Welt zu transparent und sind Israels Schutzmächte zu schwach geworden.

Nach Hegel lehrt die Geschichte, dass die Menschen aus der Geschichte nichts lernen. Für diese Einsicht gibt es viel Evidenz. Macchiavelli war anderer Ansicht. Er hat sich eingehend mit der Geschichte Roms befasst, um praktische Lehren daraus zu ziehen:

Liest man, wie die Stadt Rom gegründet wurde, welche Gesetzgeber sie hatte und welche Einrichtungen getroffen wurden, so wundert man sich nicht, dass sich mehrere Jahrhunderte lang eine außerordentliche Tüchtigkeit in dieser Stadt erhalten hat und dass sich aus diesem Gemeinwesen später ein Weltreich entwickelt hat (4).

Macchiavellis Zugang zur Geschichte teilen nur wenige Praktiker der Politik. Auf die meisten Aktivisten trifft Hegels Sarkasmus zu. So gelingt es immer wieder, altes Unheil zu erneuern.

Als Eroberer und Besatzungsmacht haben die Römer sich jedenfalls klüger verhalten als viele Eroberer nach ihnen. Sie haben ihre Einrichtungen und ihr Recht Schritt für Schritt mit ihren Eroberungen ausgeweitet und ihr Assimilationspotential (5) ausgeschöpft. Schon Cäsar hat das römische Bürgerrechtssgebiet bis an den Alpenrand erweitert.

Die Römer freilich waren weder religiöse Fanatiker noch missionarische Weltverbesserer, sondern rationale Politiker.

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(1) Achille Mbembe, Kritik der schwarzen Vernunft, S. 120 f, Suhrkamp 2021

Behübscht von hehren Narrativen (Evangelisation, Ausweitung der Zivilisation etc) sei banale Gier die treibende Kraft des europäischen Kolonialismus gewesen. Ein wissenschaftlich unterfütterter Rassismus habe der Rechtfertigung von Sklaverei, Gewalt, Ausbeutung und gesetzlich fixierter Diskriminierung gedient. Scharfsinnig dekonstruiert Mbembe europäische Narrative aus der Position eines universellen Humanismus. - Was aus meiner Sicht dabei untergeht: Gier, Gewalt und Sklaverei waren und sind kein Monopol der europäischen Zivilisation.
Menschen aller Zeiten, Völker und Kulturen haben einander Gewalt und Unterdrückung angetan und tun es weiter.

(2) Die Welt ist voller Widersprüche: In Deutschland befeuern Regierungsmitglieder Demonstrationen gegen Remigrations-Ideen. Zugleich solidarisieren sich diese Politiker mit einem Staat, dem wegen seines militanten Vorgehens gegen autochthone, aber unerwünschte peregrini vor einem UNO-Gericht Vertreibung und Völkermord vorgeworfen wird.

(3) Vgl. dazu etwa die Debatte über Achille Mbembe.

(4) Niccolo Macchiavelli, Discorsi, Kröner 1966, 7

(5) Assimilation gelingt nur, wenn nicht mit Unterdrückung verbunden oder mit Vasallentum verwechselt: siehe die Geschichte Irlands, Serbiens, Griechenlands, die Geschichte überseeischer Kolonien, Palästinas... über Jahrzehnte, Jahrhunderte erzwungenes Neben- und Untereinander anstelle gleichberechtigten Zusammenlebens - daher Terror und Kampf gegen die Besatzer, letztlich meist erfolgreich, aber mit hohen menschlichen, ökonomischen und kulturellen Kosten. - Mit der Migration in Europa scheint es umgekehrt: je massiver und unkontrollierter die Einwanderung aus nicht-europäischen Kulturen - verbunden mit schwindendem Nachwuchs aus der europäischen Bevölkerung - umso geringer das Assimilationspotential der Europäer, umso wahrscheinlicher ein konfliktreicher, aber unaufhaltsamer kultureller Wandel.



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