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Vollzeit, Teilzeit, Arbeitsscheu |
15. 03. 2023 ... dennoch wird Arbeit als Weg zum Glück von den Menschen wenig geschätzt. Man drängt sich nicht zu ihr wie zu anderen Möglichkeiten der Befriedigung. Die große Mehrzahl der Menschen arbeitet nur notgedrungen, und aus dieser natürlichen Arbeitsscheu der Menschen leiten sich die schwierigsten sozialen Probleme ab Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur Der aktuelle Arbeitskräftemangel in Ö / in Westeuropa geht einher mit einer Lebensarbeitszeit der Arbeitskräfte, die - historisch gesehen - im Verhältnis zu ihrer Lebenserwartung drastisch gesunken ist. Zu den Hauptursachen und längerfristigen Auswirkungen dieses Arbeitskräftemangels siehe Migration, Arbeitsmarkt und "Abendland". Hier nur ein Wort zu den ideologischen Debatten zur boomenden Teilzeit auch bei kinderlosen Frauen und bei Männern. Unternehmer und "bürgerliche" Kommentatoren kritisieren diese Entwicklung als Ausdruck sinkender Arbeitsmoral und zunehmender Faulheit der etablierten Arbeitskräfte. Sie fordern Anreize zu längerer Arbeitsdauer, Sanktionen gegen Arbeitsscheue und / oder den weiteren Import von Arbeitskräften aus anderen Ländern und Erdteilen. "Fortschrittliche" Kommentatoren hingegen kritisieren das "bürgerliche Konzept der Vollzeitarbeit", fordern eine generelle Arbeitszeitverkürzung und "mehr Balance und Zufriedenheit" in den Arbeitsbeziehungen:
Das bürgerliche Konzept der Vollzeitarbeit des 20. Jahrhunderts meinte männliche Vollzeit. In diesem "male breadwinner model" erhält der Ernährer die Familie, lagert jedoch sämtliche Versorgungs- und Reproduktionstätigkeiten an die nicht erwerbstätige Ehefrau aus: Vom Putzen, Kochen, Waschen und Bügeln bis zu Betreuungsarbeit, weibliche Vollzeitarbeit gab es fast nur in schlecht bezahlten Bereichen... Worauf wird sich die politische Resultante in diesem Konflikt einpendeln? Ich vermute:
* Politisch und organisatorisch stark vertretene Arbeitskräfte wehren sich erfolgreich gegen eine Ausweitung der Arbeitszeit.
Der junge Karl Marx hat zwischen entfremdeter und frei gewählter Arbeit unterschieden ... solange die Tätigkeit also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig geteilt ist, (wird) die eigne Tat des Menschen ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden Macht, die ihn unterjocht, statt dass er sie beherrscht. Sowie nämlich die Arbeit naturwüchsig verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will und vom Kommunismus eine neue, wunderbare Arbeitswelt erhofft während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden (Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S 33) Der "Unterjochung" durch "aufgedrängte" Arbeit haben sich Mitglieder der oberen Schichten in allen Gesellschaften seit eh und je zu entziehen gewusst - einst durch Sklaven und Leibeigene, im frühen Kapitalismus durch knapp gehaltene, politisch entrechtete Lohnabhängige (vgl dazu Der Zwang zur Arbeit). Sie taten / tun das keineswegs nur um zu faulenzen, sondern um "frei" gewählter Arbeit / frei gewählten Aktivitäten nachzugehen: jagen, fischen, golfen, garteln, reisen ... oder sich in eine Wissenschaft vertiefen, Politik treiben, philosophieren, dichten, musizieren...
Im Kommunismus sollte die Arbeit zu einem Mittel werden, um den Lebensprozess der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern (Manifest der Kommunistischen Partei , 1848)
Diese Hochschätzung mündet in den pathetischen Arbeitskult der sozialistischen Länder. Zur Überraschung der Theoretiker waren die Massen damit nicht zu begeistern. Die sozialistische Planwirtschaft hat weder die Solidarität noch den Wohlstand erhöht. Sie hat die Produktivität gemindert und Drückeberger begünstigt.
Auf den Markt allein als Stimulator von Fleiß freilich scheint auch kein Verlass. Funktionäre der Industriegesellschaft (=Betriebsamkeitsgesellschaft) in Ländern mit marktwirtschaftlicher Tradition starten daher von Zeit zu Zeit Kampagnen zur Aufrechterhaltung der Arbeitsmoral:
Dennoch: Ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitskräfte in den westlichen Gesellschaften ist gegenwärtig in der Lage, "entfremdete" Arbeit zu minimieren oder zu vermeiden und leichter als je zuvor "frei" gewählten Tätigkeiten nachzugehen: in einem Beruf, der Freude macht / ein zufriedenstellendes Einkommen bietet und / oder durch den Genuss ausgiebiger Freizeit als Ausgleich zu "entfremdeter" Arbeit. Möglich geworden ist das aufgrund von Errungenschaften der einstigen Arbeiterbewegung (Arbeitszeitverkürzung, Entlohnung, die über die Kosten der Erhaltung der Arbeitskraft hinaus geht, soziale Absicherung im Krankheits- und Altersfall, kostenlose Ausbildungsangebote...), aufgrund des akkumulierten Wohlstands vorangegangener Generationen - und mithilfe unterprivilegierter Menschen aus anderen Ländern / Kulturen. Migration ist offenbar notwendig zur Aufrechterhaltung von gewaltfreien Beziehungen zwischen den organisierten Interessengruppen im Westen. Der Burgfriede zwischen den "bürgerlichen" und "fortschrittlichen" Akteuren auf dem Arbeitsmarkt läuft auf die Privilegierung gut ausgebildeter, nachgefragter Arbeitskräfte zu Lasten von Zuwanderern hinaus. Diese kommen zunächst fast nur in "Shit-Jobs" unter. In diesem Arbeitsmarktsegment werden sie so lange gehalten, bis es ihnen oder ihren Nachkommen gelingt, ins Lager der etablierten Arbeitskräfte zu wechseln. Dann müssen sie durch neue Zuwanderer ersetzt werden (Gastgewerbe, Reinigungs- und Pflegeberufe, Bau etc). Das westliche Gesellschafts-System trägt sich nicht selbst. Es bedarf eines ständigen Zuflusses an billiger Arbeitskraft aus anderen Ländern und Kulturen. Da Zuwanderer das Geburtendefizit der Europäer mehr als ausgleichen verändern sich allmählich Struktur und Mentalität der Bevölkerung. Auch in Richtungen, die von den weiblichen Befürwortern der Arbeitszeitverkürzung gewiss nicht erwünscht sind, etwa was die Rolle der Frau unter den Zuwanderern aus dem Nahen Osten / aus Afrika betrifft. Eine Garantie auf nachhaltigen Wohlstand breiter Schichten ist diese Entwicklung nicht, im Gegenteil: es werde immer schwieriger, sich ein gutes Leben zu erarbeiten sagt eine Politikwissenschafterin . Die Anstrengungen zur "Rettung" des Klimas, die Inflation und der Krieg in der Ukraine (Energie, Rüstung etc) erfordern, dass "wir" "uns" vom "Überwohlstand" verabschieden meint ein anderer.
Der alte Friedrich Engels merkt in einem Brief an Joseph Bloch (21. 9. 1890) nüchtern an: ... macht sich die Geschichte so, daß das Endresultat stets aus den Konflikten vieler Einzelwillen hervorgeht, wovon jeder wieder durch eine Menge besonderer Lebensbedingungen zu dem gemacht wird, was er ist; es sind also unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante - das geschichtliche Ergebnis - hervorgeht, die selbst wieder als das Produkt einer, als Ganzes, bewußtlos und willenlos wirkenden Macht angesehen werden kann. Denn was jeder einzelne will, wird von jedem andern verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat. Daran hat sich nichts geändert. |
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