Wer wird Präsident?

12. 09. 2022

In einem von einer Journalistin moderierten Gespräch haben sich gestern abend im Staatsfernsehen sechs Kandidaten für die Hofburg vorgestellt und ihre Anliegen präsentiert. Der derzeitige Präsident sieht eine Teilnahme an solchen Diskussionen unter der Würde des Amtes. Damit ist er nach Ansicht einer kommentierenden Politologin "gut beraten".

Mein erster Eindruck zu einigen Positionen der Wahlwerber:

Fünf Kandidaten treten entschieden für die Neutralität und für eine aktive Friedenspolitik Österreichs ein. Als vorbildhaft beurteilen sie die Außenpolitik Kreiskys. Gegenüber der EU-Struktur und -Politik äußern sie Kritik, Skepsis bis Ablehnung.

Der jüngste Kandidat hingegen, Punk-Rocker und Vorsitzender der "Bierpartei", hält die EU ohne Wenn und Aber für ein Friedensprojekt. Die Neutralität müsse überdacht werden und der NATO-Krieg im Osten sei rückhaltslos zu unterstützen. Für mich ist nicht zu eruieren, ob dieser Couch-Krieger wenigstens seinen Präsenzdienst geleistet hat. Wenn nicht, vertritt er VdB im Geist und in der Debatte zu 100 Prozent.

Der schrullige Schuhfabrikant mit seiner positiven Haltung zur Neutralität und Friedenspolitik, seiner EU-Skepsis im Wirtschafts- und Umweltbereich und seiner pauschalen Umarmung von Migranten aus Asien und Afrika inszeniert sich als prinzipientreuer grün-alternativer Rebell.

Bis auf die Begrüßung frei flottierender Migration haben die regierenden Grünen frühere, identitätsstiftende Positionen über Bord geworfen. Der Schuhfabrikant übertüncht mit seinen glaubhaften persönlichen Überzeugungen diese zynische Verwerfung. Er vermittelt grün-alternativen Veteranen wohl so etwas wie "Hoffnung". Oder Nostalgie. Egal. In einem allfälligen zweiten Wahlgang werden auch seine Fans VdB wählen.

An Personen steht es somit 3 : 4 zwischen dem Cluster "progressiv", "links", "liberal", "westlich", "gut" gegen das Cluster "konservativ", "rechts", "national", "neutral", "bös". Darüber hinaus gibt es natürlich Unterschiede zwischen den Kandidaten in den politischen Nuancen, der fachlichen Kompetenz und der persönlichen Glaubwürdigkeit.

Über den Wahlausgang sagt das alles nichts. Ob es überhaupt zu einem zweiten Wahlgang kommt ist angesichts der politischen und medialen Unterstützung für VdB zweifelhaft.

Dieser bunte Strauß an Kandidaten macht nur deutlich, wie sehr die traditionellen politischen Lager Österreichs erodiert sind. Von Wahl zu Wahl kommt mehr Dynamik in das Wahlvolk.

Maßgebliche Variablen können in den nächsten Wochen an Gewicht zulegen oder verlieren. Vorauszusehen ist lediglich:

Der amtierende Präsident, der liberale Punk-Rocker - nach eigenem Bekunden auch "Feminist" - und der schrullige Schuhfabrikant werden die Sympathie der Leitmedien genießen.

Die anderen Kandidaten werden gegrillt, geröngt und geschmäht werden. Welche Skelette haben sie im Schrank oder was kann dafür ausgegeben werden?



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