US-Kriegsziele erreicht? |
23. 05. 2022
- Sind Wölfe gutmütig? ALEXANDER KLUGE Ein Freund hat mich auf einen Artikel des Editorial Boards der NYT aufmerksam gemacht, in dem es u. a. heißt: Das Editorial Board der New Yor Times "is a group of Opinion journalists whose views are informed by expertise, research and certain longstanding values. It is separate from the newsroom". Ein Artikel dieser Gruppe stützt sich auf hochrangige Quellen und erhält so offiziöse Bedeutung. Die Botschaft klingt, als hätten die USA ihre Kriegsziele schon erreicht. Fakt ist: 1) Russland ist geschwächt und hat seine europäische Orientierung fahren lassen Eine kontrollierte Verlängerung des Krieges verfestigt dieses Ergebnis. Eine ideologiegetriebene Eskalation wird Washington nicht unterstützen. Regionale Einbußen der Ukraine (Krim) sind für die USA offenbar kein Grund für ein stärkeres Engagement. Ein Waffenstillstand ohne Zugeständnisse hätte im Unterschied zu einem Verhandlungsfrieden für die USA den Vorteil, die EU durch eine anhaltende "Bedrohung" aus dem nicht besiegten Russland leichter bei der Stange zu halten, etwa wie Südkorea. 2) Die EU hat keine Option mehr, mit Russland einen „Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok“ zu entwickeln und sich langfristig mit Russland zu vernetzen Eine russlandaffine Ostpolitik Deutschlands war für die Hegemonie der USA bei der Ausrichtung der EU-Wirtschafts- und Sicherheitspolitik am gefährlichsten. Mit dem EU-Beitritt Polens und der Balten - von den USA gehätschelt - haben die USA ein kräftiges Gegengewicht zur Kooperation Deutschlands / der EU mit Russland erfolgreich genutzt, während Deutschland und Frankreich als Garantiemächte für Minsk auf ganzer Linie versagt haben. Deutschlands Interessen haben in der EU an Stellenwert verloren. Kommt die Ukraine in die EU - regional gestutzt oder nicht - wird die Kooperation Deutschlands / der EU mit Russland noch ein paar Klafter tiefer begraben. 3) Die EU ist als ökonomischer Wettbewerber der USA geschwächt (keine kostengünstige Energie mehr aus Russland), muss die Ukraine hochpäppeln und ist stärker als je zuvor von den USA auf Gedeih und Verderb abhängig Das politische Bewusstsein in Deutschland passt sich dieser Situation an. Die Funktionäre des ideologischen Überbaus (Ökonomen, Politologen, Publizisten, Philosophen...) definieren die Interessen Deutschlands / der EU nun mehrheitlich und mit entfesselter Forschheit als transatlantisch. Sie fordern eine historische Wende. Idealtypisch dafür ist ein Artikel in der FAZ von Veronika Grimm und Albrecht Ritschl. Dass die Autoren bei Habermas alte antiamerikanische Reflexe vermuten und ihn mit "68gern" in einen Topf werfen ist allerdings kurios. Die seinerzeit lautstärksten "68ger" sind längst zum geschmähten US-Imperialismus übergelaufen. Habermas ist nur ein aus der Zeit gefallener Philosoph. Ergänzung 24. / 25. 05. 2022 Der o. a. Artikel der NYT steht im Gegensatz zu aktuellen Erklärungen ukrainischer / westlicher Politiker. Von der Leyen heute in Davos: Die Kriegsziele des Westens sind uneindeutig oder die Beteiligten sind darüber nicht einig. Aber was immer der, die oder jener dazu meint oder fordert - entscheiden werden allein die USA.
Ganz anders als die NATO-beflissene EU-Urschel hat sich in Davos der 98jährige Henry Kissinger geäußert: Die Ukraine sollte verhandeln, so lange es nicht zu spät sei, und umstrittene Gebiete abgeben. Die Neutralität des Landes könnte immer noch ein Ziel sein. Russland sei ein wesentlicher Teil Europas. Die alternative Option Russlands, ein dauerhaftes Bündnis mit China, gefällt Kissinger offenbar nicht. - Die Tastatur-Krieger werden HK vermutlich für dement erklären.
In einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung grübelt Martin Kornberger angesichts aktueller Verwerfungen (Corona, Terror, Klima, Ukraine...) über das Versagen von Strategien. Er deutet eine Analogie an zwischen dem Peloponnesischen Krieg und dem Krieg in der Ukraine, zwischen Athen und Sparta und zwischen der NATO und Russland. Athen hat den Krieg bekanntlich verloren. Langfristig erfolgreiche Strategien sind offenbar nach wie vor selten, obwohl es an klugen Leuten nie gefehlt hat. Warum etwa hat die NATO weder beim Krieg gegen Jugoslawien noch bei der Zuspitzung der Konfrontation gegen Russland auf einen Altmeister der Konfliktlösung, Henry Kissinger, gehört? "Es gibt im System nichts anderes als eigene Operationen" sagt Luhmann. Auch ein vorgeblich "offenes" System ist hartnäckig resistent gegenüber Veränderungsimpulsen. Ein System ist entweder erfolgreich oder es scheitert. |
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