Die Europäische Idiotie

07. 03. 2022

Clever: Die USA lassen einen weltpolitisch entscheidenden Krieg in ihrem Interesse von Stellvertretern führen.

Stellvertreterkriege hat es seit 1945 viele gegeben. Die USA/NATO auf der einen und die Sowjetunion/Warschauer Pakt auf der anderen Seite haben unterschiedliche Parteien in Bürgerkriegen der damaligen "Dritten Welt" ideologisch, ökonomisch, politisch und militärisch unterstützt.

Damit ist der aktuelle Krieg nicht zu vergleichen. Zum zweiten Mal seit 1945 (Jugoslawien) explodieren Bomben und Raketen mitten in Europa. Diesmal ohne unmittelbare militärische Beteiligung der USA, aber keineswegs ohne ihre Unterstützung.

Die USA lassen die Ukrainer bis zum letzten Nationalisten kämpfen und die Europäer dafür zahlen. Selbst verzichten sie auf Ölimporte aus Russland zumindest bisher nicht, sie haben diese jüngst sogar gesteigert.

Die Begeisterung, mit der die EU sich selbst Opfer auferlegt, um Russlands "industrielle Basis zu zerstören" und Russland zu "ruinieren" ist phänomenal. Auch die Nazis hatten das vor, allerdings aus bösen Motiven. Die EU hingegen verfolgt dieses Ziel aus humanitären Beweggründen.

Im Enthusiasmus, Russland zu ruinieren, wird für die deutschen Grünen selbst der geheiligte Klimaschutz nachrangig: "Versorgungssicherheit ist wichtiger als Klimaschutz" sagt der grüne Vizekanzler. Kohlekraftwerke sind politisch korrekter als Gas aus Russland.

Der Furor der EU, Russland zu ruinieren macht vor kulturellen Beziehungen nicht halt. Russische Dirigenten, Sänger etc, die sich von Russland nicht lossagen, verlieren ihren Job / erhalten Auftrittsverbot. Sportler werden dazu gar nicht gefragt.

Was könnten die USA sich besseres wünschen, als so eifrige, selbstlose Stellvertreter?

Wie konnte das geschehen?

Das NATO-Narrativ steht täglich in der Zeitung, daher in Kürze:

Die Ukraine hat sich mit der Revolution von 2014 von Russland abgewandt und kann - nicht heute, aber morgen oder übermorgen - Mitglied der EU-Wertegemeinschaft und des friedlichen NATO-Verteidigungsbündnisses werden. Diese Entwicklungsperspektive darf nicht eingeschränkt werden durch ein von Russland gefordertes, vertraglich gefestigtes "Sicherheitssystem", das u. a. die Neutralität der Ukraine festschreibt. Da fährt die Eisenbahn drüber.

Die Perspektive Russlands (soweit ich sie verstehe):

Der Umsturz von 2014 war keine Revolution, sondern ein Staatsstreich. Ein demokratisch gewählter Präsident wurde unter Missachtung von Vermittlungsversuchen der EU ("fuck the EU") durch einen von den USA unterstützten gewalttätigen Mob gestürzt und vertrieben.

Bürger der Ukraine, die mit dieser Wende nicht einverstanden waren und sich von der Ukraine lossagten (Ostukraine, Krim) wurden von der Ukraine und dem Westen zu Kriminellen erklärt. Die abtrünnigen Ostukrainer hat das Regime in Kiew acht Jahre lang beschossen, um die Bewohner nach Russland zu vertreiben. Die Vereinbarung von MINSK - ein Autonomiestatut zu verhandeln - hat die ukrainische Regierung unter Duldung der westlichen Vertragspartner abgelehnt.

Der Überfall der NATO auf Jugoslawien hat gelehrt: die vereinbarungswidrige Ostexpansion der NATO ist eine Bedrohung, kein Akt eines harmlosen Verteidigungsbündnisses.

Putin scheint sich diesbezüglich vergewissert zu haben. In seiner Rede zur Anerkennung des Donbass führte er aus:

Als US-Präsident Bill Clinton im Jahr 2000, kurz vor dem Ablauf seiner Amtszeit, Moskau besuchte, fragte ich ihn: „Was würde Amerika davon halten, wenn Russland in die Nato aufgenommen werden würde?“ Ich werde nicht alle Einzelheiten dieses Gesprächs preisgeben, aber die Reaktion auf meine Frage war, sagen wir mal so, sehr zurückhaltend... Warum war, beziehungsweise ist das alles nötig? Naja, Ihr wollt uns nicht als Freunde oder Verbündeten wahrnehmen, aber warum macht Ihr einen Feind aus uns? [SNA]

Wie immer: Die Perspektiven der USA/NATO/EU und jene Russlands waren über Verhandlungen nicht annähernd zur Übereinstimmung zu bringen.

Mit dem Einmarsch in die Ukraine versucht Russland, seine Sicherheitsinteressen mit präventiver Gewalt durchzusetzen.

Mögliche Folgen

Wie immer dieser Krieg endet / sich ausweitet (das ist ebenso wenig sicher wie Deutschlands Wille, keine Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern): ich kann mir NICHTS vorstellen, was dabei ein Gewinn für Russland, für die Ukraine und für Westeuropa wäre.

Russland

Bliebe Putin nach Beendigung der Kampfhandlungen am Ruder, ändern USA/NATO/EU ihre Positionen aber nicht, wird Russland vor ähnlichen Sicherheitsverhältnissen stehen wie vorher und enorme ökonomische und politische Belastungen verarbeiten müssen. Abgekoppelt von Europa wird sich das Land (unwiderruflich?) als Juniorpartner Chinas orientieren.

Überleben Putin und seine Freunde den Krieg nicht, übernimmt ein westlich orientiertes Regime die Macht und schafft es, die Föderation zusammen zu halten (Diadochenkriege in Russland nicht ausgeschlossen), wäre theoretisch sogar ein Beitritt Russlands zur EU und NATO möglich. Die USA und GB würden eine solche Perspektive aber gewiss wieder blockieren (siehe Brzezinski-Doktrin). Russland würde vielmehr als de facto besiegtes Land behandelt und ausgeplündert.

Ukraine / Westeuropa / EU

Geht die Ukraine aus diesem Krieg ohne Krim und Ostukraine als neutraler Pufferstaat hervor, werden USA/NATO/EU das Interesse an der Ukraine verlieren.

Bleibt die Ukraine mit oder ohne Krim / Donbass in der Hand der ukrainischen Nationalisten, kann und wird sie der EU und NATO beitreten. Damit schafft die EU sich ein Fass an, in das sehr viel Geld fließen wird. Dass die EU sich durch die ökonomische, politische und kulturelle Heterogenität ihrer Mitglieder überheben und selbst an den Rand des Zerfalls gedrängt werden kann ist keineswegs ausgeschlossen.

Die Abkopplung von Russland wird Westeuropa abhängiger von den USA machen - nicht nur in Sachen Energie. Die EU wird das Schicksal der USA in der ökonomischen, politischen und allenfalls militärischen Auseinandersetzung mit China / RUS teilen - so oder so.

USA

Nach dem friedlichen Bankrott der Sowjetunion, der Auflösung des Warschauer Pakts und der neuen politischen Souveränität der ehemaligen Länder des Ostblocks schien eine neue Zeit für Europa anzubrechen: es gab europaweit keine systemischen, ideologisch verhärteten Unterschiede mehr in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Kapitalismus hatte auch im Osten Europas einen Siegeszug angetreten - einen besonders kräftigen sogar.

Mit dem irrwitzigen Programm "In 500 Tagen zur Marktwirtschaft" wollte Jelzin mithilfe von US-Beratern zum Westen aufschließen. Dieses Vorhaben des US-hörigen Trunkenbolds war extrem unrealistisch. Es führte zu bizarren Auswüchsen des Kapitalismus in Russland, zu sozialen Verwerfungen und in der Folge zum Beschuss des russischen Parlaments durch Jelzin. Putin brachte die Oligarchen unter politische Kontrolle und stoppte den Ausverkauf Russlands.

Dem anschließenden, langjährigen Werben Russlands, mit der EU auf Augenhöhe zu kooperieren, zeigten die transatlantisch orientierten EU-Politiker die kalte Schulter. Der Beifall für Putins Rede im Deutschen Bundestag verhallte rasch.

Nun ist der Faden gerissen.

Die USA haben sich in der Politik Westeuropas durchgesetzt - Europa zerfleischt sich. Mit dem Ausschluss Russlands aus Europa und mit einem allfälligen NATO-Beitritt Schwedens, Finnlands und Österreichs (Propaganda dafür ist schon zu hören / zu lesen) festigen die USA ihre ökonomische, politische und militärische Hegemonie über Westeuropa / die EU. Frankreich war zu schwach, um in der EU eine eigenständige europäische Politik zu implementieren. Deutschland ist als Partner dafür gänzlich eingeknickt und liegt ergeben auf US-Linie.

M. E. hätte die EU Verhandlungsbereitschaft, vor allem über den Ausschluss eines NATO-Beitritts der Ukraine zeigen müssen. Sie ist aber gänzlich dem Drehbuch der USA gefolgt, das auf Konflikt und Spaltung ausgelegt war.

Warum ist die EU im Verhältnis zu Russland nur das Echo Washingtons? Weil die EU / die meisten EU-Länder von Leuten regiert werden, deren Karriere / Biographie auf das engste mit den USA verknüpft ist, wie die Karriere und Biographie der tonangebenden Journalisten, Publizisten und Moderatoren, die diese Bindung ideologisch Tag für Tag medial festigen. Nach 77 Jahren Besatzung kein Wunder.

Die Interessen der Europäer in West und Ost bleiben dabei auf der Strecke - Interessen, wie sie de Gaulle, vielleicht auch Macron und einige Politiker in Deutschland (nun verfemt oder auf Tauchstation) verstanden haben.

Nach meinem Verständnis von Europa / von europäischen Interessen ist es uneuropäisch und unintelligent, das Land Puschkins, Gogols, Tolstois, Dostojewskis, Solschenyzins, Tschaikowskis etc etc als Feind Europas zu behandeln und die USA als Hegemon Europas anzuhimmeln. So bleibt Kontinentaleuropa auf Dauer gespalten. Künftig vielleicht in einen US-hörigen und in einen China-abhängigen Teil.

Wer mit der EU andere Hoffnungen verknüpft hat, wurde schon durch den Krieg gegen Jugoslawien aus seinenTräumen gerissen.

Nur eine Minderheit in Europa hält noch an der Vision eines Europas "von Lissabon bis Wladiwostok" fest, politisch unbehaust und auf unabsehbare Zeit ohne Resonsanz.



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