Happy End?

03. 03. 2022

Krieg ist ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen heißt es bei Clausewitz.

Der deklarierte Wille Russlands ist die "Entmilitarisierung" und "Entnazifizierung" der Ukraine.

Mit "Entmilitarisierung" scheint gemeint: die Ukraine soll als Aufmarschgebiet der NATO nachhaltig ausgeschaltet werden. Gesichert werden soll dies offenbar durch eine kontrollierbare, rechtlich verbindliche militärische Neutralität der Ukraine.

By the way: welche Mittel hat Russland, wenn seine Nachbarn Schweden und Finnland der NATO beitreten? Auch einmarschieren? Absurd.

Die "Entnazifizierung" hingegen zielt auf die Entfernung extrem nationalistischer Kräfte aus dem Staatswesen der Ukraine, also aus Parlament, Regierung, Justiz, Verwaltung und Kultur.

Wie realistisch sind diese Zielsetzungen?

Beiden Zielen ist Russland bisher weder durch friedliche politische Mittel noch durch den laufenden militärischen Angriff näher gekommen.

Über militärische Neutralität zu reden ist der Präsident der Ukraine im Gegensatz zu seinen erst kürzlichen Willensbekundungen plötzlich bereit. Wie ernsthaft und verbindlich ist eine andere Frage.

Die "Entnazifizierung" der Ukraine hingegen ist ohne eine zumindest mehrjährige Besetzung des Landes rein technisch nicht leistbar. Die Umsetzung dieses Zieles erfordert Gesetze, die extreme Nationalisten von der Teilnahme am politischen Gestaltungsprozess ausschließen und einen Staatsapparat, der fähig und willens ist, solche Regelungen durchzusetzen.

Wer kann sich angesichts des Widerstands und der politischen Stärke der ukrainischen Nationalisten bei gleichzeitig beispiellosen Sanktionen des Westens vorstellen, dass Russland diese Ziele erreicht?

Natürlich muss ein Aggressor seine Kriegsziele den Realitäten anpassen, die sich ihm erst im Krieg enthüllen. Gibt Russland sich aber mit weniger zufrieden ist das eine Niederlage.

Niederlagen haben Konsequenzen

Mit der Entscheidung zum Krieg haben Russlands Verantwortungsträger ihrem Land und ihren Bürgern nachhaltige Lasten aufgebürdet. Bleiben sie ohne Lohn, ist die Führung diskreditiert. Sie verliert die Unterstützung der Bevölkerung.

In Demokratien geschieht das durch Wahlen. Ein Land im Krieg / unter Sanktionen aber hält kaum Wahlen ab. In solchen Fällen kommt es weit eher zu einem Staatsstreich innerhalb der Elite.

Wer an Macht und Einfluss gewohnt ist will nicht Verlierer werden. Leicht vorstellbar ist daher ein Coup, finanziert von wirtschaftlich mächtigen Leuten und durchgeführt von wendigen Funktionsträgern im Staatsapparat: Offiziere, Politiker, Beamte...

Schlagzeilen von morgen?

PUTIN GESTÜRZT UND VERHAFTET - CHODORKOWSKI ALS PRÄSIDENT VEREIDIGT

MILITÄRMASCHINE SOLLTE LAWROW UND PUTIN-VERTRAUTE NACH PEKING BRINGEN - IM LUFTRAUM ÜBER JEKATERINENBURG ABGESCHOSSEN

GAZPROM VON SHELL, BP, UND EXXON ÜBERNOMMEN - NORDSTREAM 2 WIRD FREIGESCHALTET

UKRAINE-TRIBUNAL IN WARSCHAU NIMMT BETRIEB AUF - VÖLKERRECHTLERIN BAERBOCK MIT DER VERTRETUNG DER ANKLAGE BETRAUT

Mit einer derartigen Entwicklung passt Russland sich wieder der Erwartungshaltung des Westens an wie in der Regierungszeit Jelzins. Die Sanktionen werden aufgehoben - schaden sie doch auch dem Westen - und es gibt ein Happy End. Nicht für RUS, nicht für die Ukraine, nicht für Europa, aber für die USA.

Natürlich sind auch andere Szenarien denkbar. Aber so ungerührt wie der Westen verpatzte Kriege abhakt wird Russlands seinen Krieg gegen die Ukraine gewiss nicht aussitzen.

Die Macht über double standards

Sieger müssen keine Verfolgung ihrer Untaten fürchten, das leuchtet ein. Der NATO-Überfall auf Jugoslawien hatte weder eine Reaktion der UNO und schon gar keine juristischen Troubles für die Verantwortlichen zur Folge, im Gegenteil: die Überfallenen waren an allem schuld.

Aber auch erfolglose Untaten wie die Niederlage der US-Aggressoren in Vietnam, das Fiakso der NATO in Afghanistan, die längerfristig wenig erfolgreichen Kriegseinsätze des Westens gegen Syrien, gegen den Irak oder das mehrmonatige Zerbomben von Libyen haben zu spürbaren politischen oder gar juristischen Folgen für die Verantwortlichen geführt.

Ist das nicht eine erstaunliche Resilienz der westlichen Systeme? Wie kommt sie zustande?

Die USA und ihre Verbündeten kontrollieren / dominieren trotz ihrer Rückzugsgefechte als Welthegemon immer noch viele internationale Organisationen von der UNO bis zu den Paralympics.

Das erlaubt ihnen, double standards durchzusetzen: was immer der Westen macht ist gut motiviert und juristisch argumentierbar. Nur Untaten nichtwestlicher Regierungen, die sich von Untaten westlicher Staaten nicht unterscheiden, sind moralisch verwerflich und politisch / militärisch / juristisch zu verfolgen.

Eine moralische und juristische Instanz, die über ALLEN Staaten steht, existiert nicht. Die UNO hat diese Hoffnung nicht erfüllt. Sie musste beizeiten lernen, sich den Mächtigen anzupassen:

UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld wurde wohl auch mit Billigung der CIA und des MI5 abgeschossen. Der geächtete Kurt Waldheim hatte sich als UNO-Generalsekretär den Unmut der USA und Israels zugezogen. Mit Raketen bauenden Nazis wie Wernher von Braun hatten die USA keine Probleme.

Kofi Annan, auf Druck der USA zum UNO-Generalsekretär gewählt, ging beim Überfall der NATO auf Jugoslawien auf Tauchstation und beschränkte sich auf Pastorales:

Unmittelbar vor Beginn der Sitzung erklärte UN-Generalsekretär Kofi Annan, es gebe Zeiten, in denen die Anwendung von Gewalt legitim sein könne. An jeder Entscheidung hätte der Sicherheitsrat aber beteiligt sein müssen. Annan sprach von einem "schweren Augenblick für die internationale Gemeinschaft" [DER SPIEGEL]

Korrekt hingegen im Sinne der UNO-Charta hat sich Generalsekretär Guterres zum Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine geäußert.

Aber halt nur dazu. Vergeblich habe ich im Netz nach einer symmetrischen UNO-Äußerung gesucht. Also nach einer Erklärung, die den achtjährigen Beschuss der ostukrainischen Separatisten durch die Regierung der Ukraine kritisiert / verurteilt. Vergeblich gesucht habe ich auch nach einer offiziellen UNO-Kritik an der Weigerung der ukrainischen Regierung, MINSK umzusetzen. Massenhaft zu finden hingegen sind Zeitungsberichte über die verwerfliche Unterstüzung der Separatisten durch Russland.

Im übrigen steigen die US-Rüstungsaktien.

Ergänzung 04. 03. 2022

Die USA und ihre Verbündeten kalkulieren nicht nur mit dem Sturz der gegenwärtigen russischen Führung. Der US-Senator Lindsey Graham ruft die Russen zur Ermordung Putins auf.



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