SPÖ

07. 02. 2022

Als gelegentlicher Leser deines Blogs bin ich überrascht, dass du viel über Weltpolitik räsonierst, aber kein Wort findest zu den Kalamitäten der SPÖ-Oberösterreich. Da kennst du immerhin einige Akteure.

schreibt mir ein Freund ironisch.

Nun, näher als die aktuelle Weltpolitik ist mir das parteipolitische Geschehen in Oberösterreich nicht. Im Gegenteil. Wie es weitergeht in einem Europa, in das meine Enkel hineinwachsen, interessiert mich mehr als das Schicksal einer Partei, deren ursprüngliche gesellschaftliche und geistige Basis sich im Prozess der Geschichte nahezu aufgelöst hat.

Längst ist die Sozialdemokratie eine Partei im Kapitalismus wie alle anderen Parteien auch, Parteien also ohne Perspektive über das kapitalistische System hinaus.

Das ist beileibe kein Vorwurf. Es gibt jedenfalls zur Zeit keine Alternative wie einst den Sozialismus, für dessen Realisierung Millionen Menschen bereit waren, Opfer zu bringen. Diese Perspektive hat sich nach und nach als Illusion entpuppt und ist mit dem friedlichen Bankrott der Sowjetunion gestorben.

Statt dessen gibt es Nuancen im kapitalistischen System. Das sind keine unbeachtlichen Unterschiede. Ein sozialdemokratisch moderierter Kapitalismus zB ist für die meisten Menschen wohl attraktiver als ein kalt neoliberaler oder ein autoritärer Staatskapitalismus wie in China.

"Sozialdemokratisch moderiert" ist der Kapitalismus in Europa meist auch, wenn "bürgerliche" Parteien regieren. So lange es demokratische Wahlen gibt, können Parteien, die Interessen von Kapitalisten glashart vertreten, keine Mehrheit gewinnen. Sie müssen Zugeständnisse an Lohnabhängige machen. Wie groß die sind und von welcher Qualität unterscheidet die Parteien.

Die Sozialdemokratie hat dabei nicht immer die besten Ideen im Urteil der Wähler. Wie sonst kämen ihre Wahlniederlagen zustande. Um nicht unter die Räder zu kommen neigen sozialdemokratische Politiker oft zum "linken" Populismus in Form von "überall-noch-etwas-mehr": bei Pensionen, beim Arbeitslosengeld, beim Aufstocken und Erfinden neuer Sozialleistungen. Eine aktuelle Superidee von Sozialdemokraten etwa ist, jedem, der sich bis jetzt vor einer Impfung geziert hat, € 500,- aus Steuergeld zu schenken.

Nun zur freundschaftlich reklamierten Anmerkung zu den aktuellen Veränderungen in der SPÖ Oberösterreich:

Sollte die bisherige Parteiführung tatsächlich vorgehabt haben, das Gewicht der Gewerkschafter in der Partei zurückzudrängen - ich vermute das nach der heftigen Reaktion der Gewerkschafter - überrascht mich der Wechsel in der Geschäftsführung nicht.

Wie Lenin formuliert hat, sind die Gewerkschaften der "Transmissionsriemen der Partei zu den Massen". Die BOBOs in der SPÖ verstehen diese Metapher aus der frühen Industrie vermutlich gar nicht, geschweige, was damit gemeint ist. Lenin dachte dabei allerdings mehr an das "Hineintragen" als an das "Herausholen" von handlungsleitenden Informationen.

Auch wenn es keine homogenen "Massen" des Proletariats mehr gibt sind die Interessenvertreter der Lohnabhängigen nach wie vor die wichtigste Säule einer sozialdemokratischen Partei. Sie zu schwächen, um "moderner" zu werden heißt, das letzte Alleinstellungsmerkmal der Sozialdemokratie aufzugeben.

Klar: Nicht alle Impulse, die aus der Gewerkschaft kommen, darf eine kluge Partei 1:1 umsetzen. Die Auseinandersetzung damit aber ist für Sozialdemokraten unverzichtbar. Gewerkschafter, vor allem Betriebsräte, weniger die abgehobenen Funktionäre, verfügen über einen unschätzbaren Realitätsbezug: wer sonst sieht besser und umfassender in die Betriebe, wer sonst kennt die Interessen, Sorgen und Bedürfnisse der Beschäftigten besser?

Eine Sozialdemokratie, die das nicht zu nutzen weiß, darf sich über schwindende Resonanz nicht beklagen.



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