Wissenschaftsfeindlich?

14. 11. 2021

Er „übertreibe jetzt ein bisschen“, sagte Haslauer – um dann auszuführen, dass es „den Virologen“, am liebsten wäre, „wenn jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer eingesperrt ist, weil da kann er sich nicht anstecken und er kann niemanden infizieren. Er wird halt dann leider aus Depression sterben oder verhungern oder verdursten“, sagte der Salzburger Landeshauptmann Mittwochabend [ORF]

Ein shitstorm war die Folge dieser sarkastischen Bemerkung. "Komplexitätsforscher","Simulationsexperten", Journalisten und Tausende Poster in den "sozialen Medien" haben sich in heftigen Worten darüber empört. Haslauer habe der "Wissenschaftsfeindlichkeit" Vorschub geleistet.

Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer hat grobe Worte vermieden, behauptete jedoch, die Wissenschaft verkünde nur Tatsachen.

Diese Behauptung ist, mit Verlaub, fern jeder wissenschaftstheoretischen Reflexion.

"Verkünden" ist das Geschäft von Wahrsagern, Pfarrern und Propheten. Wer sich je mit Wissenschaftstheorie beschäftigt hat ist sich bewusst, dass "Tatsachen" keine unwiderlegbaren Wahrheiten, sondern "Tat-Sachen" sind und das "Wissen" über weite Strecken Vermutungswissen ist.

Unser Wissen ist ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, ein Gewebe von Vermutungen lautet eine berühmte Formulierung aus Poppers "Logik der Forschung". Diesen kritischen Rationalismus habe ich in den letzten zwei Jahren oft vermisst.

Eine repräsentative Chronologie der Aussagen von Virologen, sonstigen Experten und "Experten" zum Corona-Virus wird vermutlich nie erstellt werden. Ich bin jedoch kaum der einzige, der dabei recht unterschiedliche bis widersprüchliche Ansichten und Vorhersagen wahrgenommen hat.

Ich kritisiere damit nicht das tastend voranschreitende Wissen über das neue Corona-Virus.

Im Auge habe ich vielmehr jene Experten, gleich welcher Profession, die sich von Medien zur Eitelkeit verführen lassen und ihre aktuelle Sichtweise nicht professionell, d. h. nicht zurückhaltend, sondern kategorisch vortragen, also tatsächlich "verkünden", nicht selten an der Seite von Politikern.

In einer Situation, die bedrohlich und nicht so überschaubar ist wie eine Konjunkturkrise, scheint verständlich, dass Politiker sich an Experten anlehnen. Experten ihrerseits brauchen Politiker, um ihre Vermutungen in zielführende Praktiken zu übersetzen.

Dennoch sollten die einen wie die anderen jeweils ihren Job machen und wechselseitig dafür Verständnis aufbringen.

Politiker müssen Experten von Selbstdarstellern unterscheiden und sind gut beraten, diesen zuzuhören. Experten dürfen nicht davon ausgehen, dass Politiker ihre Vorschläge 1:1 umsetzen. Gute Politik hat am laufenden Band Kompromisse zwischen unterschiedlichen bis gegensätzlichen Interessen zu erfinden.

Rückblickend hätte man dies vielleicht anders machen sollen und Politik von Gremien- oder Expertenarbeit klar trennen meint eine Expertin.

Dem stimme ich zu.



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