Die Goldwaage

26. 10. 2021

Eine Flut vermeintlich privater Chats zwischen Sebastian Kurz, Thomas Schmid und anderen ist aus Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft über Journalisten des FALTERs und des STANDARDs an die Öffentlichkeit gelangt. Auf welchen Wegen bleibt gewiss ungeklärt. Obwohl strafrechtlich meist irrelevant, enthüllen die Chats gemäß den empörten Kommentaren und Stellungnahmen die "moralische Verderbtheit" der Akteure.

In einer interessanten Kooperation zwischen dem STANDARD und Staatskünstlern des Burgtheaters wurde mit diesem Material auch ein Video unter der persönlichen Leitung des Burgthaterdirektors angefertigt:

Die Ensemblemitglieder Regina Fritsch, Daniel Jesch, Christoph Luser, Dörte Lyssewski, Robert Reinagl und Nils Strunk schlüpfen in dem etwa 20 Minuten langen Video in die Rollen von Sebastian Kurz, Thomas Schmid und anderen. Dörte Lyssewski ist die Erzählerin. In der Kooperation übernahm DER STANDARD die Auswahl der Chats, erarbeitete die Textfassung und war für die Videoproduktion zuständig. Die künstlerische Umsetzung der Lesung oblag dem Burgtheater; Direktor Martin Kusej führte Regie. Die Aufzeichnung fand auf der Probebühne im Wiener Arsenal statt. Neben dem Video dokumentiert DER STANDARD die Chat-Nachrichten auch in schriftlicher Form online sowie als Beilage zur heutigen Wochenend-Ausgabe (Der Standard).

In zeitlicher Nähe dazu ist eine private Textnachricht des Präsidenten des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger in Deutschland, des SPRINGER-Chefs Mathias Döpfner, öffentlich geworden:

Darin hatte er den mittlerweile wegen Compliance-Vorwürfen abgesetzten Bild-Chefredakteur Julian Reichelt als letzten und einzigen Journalisten in Deutschland bezeichnet, der noch mutig gegen den – Zitat – „neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehre. Fast alle anderen Journalisten seien zu „Propaganda-Assistenten“ geworden (Deutschlandfunk).

Ist diese Charakterisierung von Lohnschreibern durch einen hochrangigen Insider nicht auch "enthüllend"? Kein Wunder, dass er von jenen, die sich betroffen fühlen, zum Rücktritt aufgefordert wurde und nun zurückrudert. Seine Verteidigung:

Sie alle wissen, dass meine kritisierten Äußerungen – Stichworte: DDR-Obrigkeitsstaat und PR-Assistenten – in einer privaten SMS gefallen sind. Sie war Teil eines vertraulichen Dialogs. Worte werden dabei gewöhnlich – Sie werden das nachempfinden können – nicht auf die Goldwaage gelegt. Es gibt so etwas wie ein emotionales, provokantes, irrationales und spontanes Innenleben einer bilateralen Unterhaltung unter vermeintlich sich vertrauenden Leuten. Außenstehende werden das zwangsläufig gar nicht oder bestenfalls falsch verstehen (Die Zeit).

Wird er damit durchkommen, ohne seinen Job zu verlieren? Wie immer, fest steht: das Burgtheater-Ensemble wird Lesungen aus privaten SMS und Chats von Journalisten NIE veranstalten und dazu ein Video anfertigen.

Ergänzung - 29. 10. 2021

Im STANDARD empfiehlt Hans Rauscher der SPÖ, strategisch voll auf eine Ablöse der jetzigen türkis-grünen Koalition durch eine Rot-Grün-Pink-Koalition zu setzen (Der Standard)

In Wien-lastigen Medien, Wien-lastigen öffentlichen Kunst- und Kultureinrichtungen und Wien-lastigen Teilen der Verwaltung und Justiz, also in einem beträchtlichen Teil des spezifisch österreichischen "Tiefen Staates", ist Rot-Grün-Pink gut etabliert.

In harmonischer Kooperation (Ermittlungsakte aus der Justiz-STANDARD-Burgtheater) arbeitet dieses Polit-Cluster erfolgreich auf den Sturz einer Regierung hin, die bei längerer Dauer die kulturelle Hegemonie dieses Clusters mithilfe allmählicher personeller Veränderungen im deep state gefährden könnte.

Passend zu seinem Vorschlag an die SPÖ rät Rauscher der VP, "kontraproduktive Reste" der Ära Kurz zu entsorgen (etwa Frau Köstinger), also wieder zur braven, "christlich-sozialen" VP-Tant' und somit eine 20-Prozent-Partei zu werden.

Ob maßgebliche VP-Politiker so famosen Ratschlägen folgen werden? Auszuschließen ist das nicht.



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