Allianz für Europa

19. 09. 2021

Eigentlich sollte Australien – darauf einigte man sich im Jahr 2016 – französische U-Boote kaufen. Doch am am Donnerstag machte die Regierung in Canberra bekannt, im Rahmen einer neuen Indopazifik-Sicherheitsallianz mit den USA und Großbritannien U-Boote mit Atomantrieb beschaffen zu wollen [ORF 18.09.2021]

Muss nicht auch dem beharrlichsten Transatlantiker in der EU klar sein: die USA agieren nach ihren Interessen, nicht nach den Interessen Europas, völlig gleichgültig, wer im Oval Office sitzt?

Wie lautstark war die Kritik am ruppig-direkten Trump in den "Leitmedien" der EU-Staaten! Wie überschlugen Moderatoren, Kommentatoren und Kolumnisten sich vor Freude, als Biden gewählt wurde! Mittlerweile etwas ernüchtert bleibt ihre Kritik an der America first-Politik auch des neuen Präsidenten verhalten.

Selbst die kühle Erklärung Bidens zum Rückzug der USA aus Afghanistan, die das Moralisieren der EU-Politiker über "nation building" düpierte, haben sie betreten beschwiegen. Werden sie auch die neue "Sicherheitspartnerschaft" der USA mit GB und Australien ohne Einbindung der EU / Europas klein reden?

Es ist zu erwarten. Die Transatlantiker in den Regierungen der EU-Staaten und in Brüssel halten erstaunlich zäh an einer Europa-Politik fest, die den Interessen der USA mehr dient als den Interessen der Europäer in Ost und West. Parteien / Politiker, die sich auf den Hegemon in Washington nicht einschwören lassen, regieren in keinem EU-Staat.

Die deutschen Grünen etwa wurden als "regierungsfähig" erst zertifiziert, nachdem sie sich vorbehaltlos zur NATO bekannt hatten. Dieses Bekenntnis haben sie durch die Teilnahme Deutschlands am Überfall der NATO auf Jugoslawien nachhaltig bekräftigt. Jetzt verlangen sie von der LINKEN den Kotau vor der NATO als Voraussetzung einer allfälligen rot-grün-roten Koalition.

Will Europa sein ökonomisches und weltpolitisches Potential entfalten, bedarf es einer Wende im Europa-Verständnis und in der Europa-Politik der EU:

1. Die derzeitige EU ist nicht Europa.

Die tagtägliche Gleichsetzung von EU und Europa im Sprachgebrauch der EU ist eine konfrontative Anmaßung. Sie ist mit Bedingungen verknüpft, die zum Zweck der Exclusion aus einem Europa, wie die USA und ihre Statthalter in der EU es sich vorstellen, jederzeit vermehrt / verschärft werden können.

2. Europa kann von Lissabon bis Wladiwostok reichen

Zählen die Unterschiede in den Sitten und Gebräuchen zwischen den Ländern Europas mehr als ihre Gemeinsamkeiten in der Lebensweise, im Stellenwert der Wissenschaften, der Musik, der Literatur in ihren Gesellschaften? Sind nicht selbst dort, wo es heikel wird, also in der Politik und im Rechtswesen, die Unterschiede im Vergleich zu islamisch, hinduistisch, konfuzianisch, afrikanisch geprägten Kulturen gering?

Was ist in Dresden, Palermo, Helsinki oder Kiew europäischer als in St. Petersburg? Lassen Kapitalisten in Deutschland sich von anderen Motiven leiten als Oligarchen in Russland?

Es geht in diesen Fragen weniger um Fakten, als um Sichtweisen. Die zahllosen Fakten auf beiden Seiten werden je nach Sichtweise selektiert und nach politischer Intention verwendet: Wer Unterschiede stärker gewichtet als Gemeinsamkeiten, spaltet. Wer Gemeinsamkeiten betont, eint.

3. "Wandel durch Annäherung"

war das Motto der klugen und erfolgreichen Ostpolitik Egon Bahrs.

Nicht feindselige Abschottung und Sanktionen, sondern ökonomische, kulturelle und politische Kooperationen zwischen den damals sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen waren im Interesse der Menschen in Ost und West. Diese Politik, durchgesetzt gegen die Kalten Krieger auf beiden Seiten, hat die Wiedervereinigung Deutschlands auch gegen Bedenken der Verbündeten ermöglicht.

Bei den Diskussionen und Aktionen rund um "Nordstream 2" sind die analogen Politikansätze aufeinander geprallt. Grundsätzlich, so scheint es, haben sich die Freunde der Kooperation durchgesetzt und nicht die Sanktionierer. Eingeforderte / zugesagte "Garantien" freilich machen deutlich: die Kalten Krieger haben die Segel keineswegs gestrichen.

Nach 1945 sind die Initiatoren der europäischen Integration einer weisen Vision gefolgt. Um Hegemonie sollte in Europa nicht mehr gekämpft werden. Eine allmähliche ökonomische Integration sollte langfristig die politische Union ermöglichen.

Ausgerechnet unter deutscher Präsidentschaft hat die EU diesen Weg verlassen und dabei das 50-jährige Tabu des Krieges in Europa gebrochen (Jugoslawien). Nach dem Bankrott des Sozialismus folgt die Europa- und Erweiterungspolitik der EU den geopolitischen Motiven der USA entschlossener als zuvor. Die EU fungiert nur noch als ökonomischer Arm der NATO.

4. Eine "gaullistische Allianz"

also die Vernetzung aller Kräfte in Europa, denen ein friedlich vereintes Europa von Lissabon bis Wladiwostok vorschwebt, könnte die Rückkehr der Europa-Politik zum ursprünglichen, erfolgreichen und sanktionsfreien Prinzip "ökonomische Integration vor politischer Union" befördern.

Theoretisch ist das Potential dafür groß: eine transatlantische oder "gaullistische" Europa-Orientierung ist grundsätzlich mit allen sonstigen politischen Differenzierungen vereinbar, ob konservativ, liberal, sozialdemokratisch oder grün.

Zur Zeit freilich ist diese Vorstellung nichts als der Wunsch einer schwachen, geradezu verfemten Minderheit.



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