Verhaltensmuster der Politik in der Pandemie

16. 02. 2021

Eingeladen, zum Umgang der Politik mit der Pandemie einen Impulsvortrag in meinem Club zu halten, habe ich dazu folgenden Text referiert - CORONA-bedingt im Rahmen eines Video-Meetings. Ich habe nach systemübergreifenden Verhaltensmustern Ausschau gehalten. Zur Frage, ob, wie und mit welchem Erfolg verschiedene politische Systeme / Länder mit der Pandemie umgehen, verweise ich auf eine Untersuchung des australischen Lowy-Instituts. Schweden schneidet nach dieser Auswertung übrigens besser ab als Österreich.

Vier Phasen

Beim Versuch, die Reaktion der Politik auf das Auftreten des Corona-Virus unter den Begriff zu bringen, habe ich vier Phasen ausgemacht. Sie unterscheiden sich qualitativ und folgen in der Regel aufeinander. Bei der Sammlung der Belege in Form von Zitaten drängte sich mir die Assoziation zu einer Szene aus der Serie "Yes, Minister!" auf.

"Satire muss übertreiben" (Tucholsky), aber zuweilen ist es auch "schwer, eine Satire nicht zu schreiben" (Juvenal).

1. Negieren

Politiker in aller Welt sind mit Kriegen, Handelskonflikten, mit dem Arbeitsmarkt, mit Migration, Klima, Terror, Wahlen etc beschäftigt. Das Virus stört. Die Politiker wollen ihre Prioritäten nicht ändern und halten sich an Experten, die vor Panik warnen.

Wir haben es völlig unter Kontrolle. Es ist eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut werden (Trump, 22. 1. 2020)

Derzeit gibt es keinen Grund zur Sorge in Österreich (Nehammer, 26. 1. 2020)

Wir können das Ding in zwölf Wochen drehen (Johnson, 12. 3. 2020)

Sport, vor allem Eissport, das ist die beste und echteste Anti-Viren-Medizin (Lukaschenko, 30. 3. 2020)

Wir wissen überhaupt nicht, ob es bei diesem Coronavirus eine zweite Episode geben wird, wie das bei der Influenza der Fall war (Virologin Karin Mölling, 19. 4. 2020)

2. Akzeptieren

In die Kliniken vieler Länder werden zahlreiche, vor allem ältere Menschen eingeliefert, viele unter ihnen sterben. Ärzte und ANDERE Experten schlagen Alarm. Vorerkrankte, Ältere sind offenbar stark gefährdet – aber die meisten verkraften die Infektion doch! Wir behandeln schon besser, wir entwickeln Impfstoffe! Müssen wir wegen dieser Infektionsgefahr Wirtschaft und Leben lahm legen? Hilft ein Lockdown überhaupt? - Vor allem im angelsächsischen Kulturkreis plus Schweden setzt man auf Fortschritt und Herdenimmunität, geht mit Einschränkungen zurückhaltend um.

If you suppress something very, very hard, when you release those measures it bounces back and it bounces back at the wrong time (Sir Patrick Vallance, Chief Scientific Adviser to the Government of the United Kingdom, 13. 3. 2020)

Don't let it dominate your life, don't be afraid of it, you're gonna beat it (Donald Trump, 8. 10. 2020)

Ausgerechnet der in den Medien viel gescholtene "Corona-Leugner" Trump hat im Mai 2020 mithilfe der "Operation Warp -Speed" bei der Entwicklung von Medikamenten und Vakzinen maßgeblich Tempo gemacht.

3. Priorisieren

Medien, Opposition und andere Experten unter den Virologen, Mathematikern etc zeichnen das Bild der Pandemie immer düsterer. Die Menschheit ist bedroht! Regierungen in aller Welt geraten unter Druck. Sie halten sich an die anderen Experten und greifen massiv in Wirtschaft und Gesellschaft ein. Nicht wenige wechseln in den Panikmodus. Manche schneller, andere verzögert.

Die Gesundheit der ÖsterreicherInnen zu erhalten hat oberste Priorität (Wöginger, 15. 3. 2020))

Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist (Kurz, 30. 3. 2020)

Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben (Merkel, 9. 12. 2020)

The coronavirus pandemic will be my first priority, the second priority, and the third priority (Biden, 24. 12. 2020)

4. Instrumentalisieren

Politiker aus allen Lagern versuchen, die Pandemie auf ihre Weise zu nutzen. Regierende inszenieren sich als entschlossene Leader / empfehlen sich für höhere Weihen. Oppositionelle kritisieren JEDE Vorgangsweise. Experten und „Experten“ genießen das Rampenlicht, lassen sich gern „Sager“ entlocken. Extremisten / Esoteriker / Obskuranten versuchen, Demonstrationen verzweifelter Eltern / Bürger zu kapern. In ihrem Element sind in diesem Tohuwabohu die Journalisten.

Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen (Söder, 4. 7. 2020))

Anstatt nachvollziehbarer Maßnahmen herrschen Intransparenz, falsche Informationen, Chaos und Ignoranz (Donig, NEOS, 25. 12. 2020)

Mein Kampfauftrag für 2021 lautet „Kurz muss weg“ (Kickl, 4. 1. 2021)

Vertrauen in die Impfung ist das nötige Kapital. Dieses Vertrauen wird gerade durch die regierungstragenden Parteien verspielt (Habeck, GRÜNE, 5. 1. 2021) - Zu seinem Parteifreund Anschober wird er das wohl nicht sagen, obgleich Österreich derzeit offenbar schlechter performt als Deutschland.

Persönliches Resümee

Der „Schwarze Schwan“ Corona hat Experten / Verantwortungsträger überrascht. Eine evidenzbasierte Strategie, die allen gesundheitlichen / ökonomischen / gesellschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung trägt, gibt es (noch) nicht. Alle redlich um Lösung bemühte Politiker verdienen daher m. E. Nachsicht, wenn sie nicht nur richtige Entscheidungen getroffen haben.

Die Nachrichtenlage jedenfalls ist prekär. Ein Journalist (der anonym bleiben will) kritisiert den Verfall „nachrichtlicher Sprache“ in den Leitmedien (man vergegenwärtige sich etwa ihre schäbige, völlig realitätsfremde Propaganda gegen Sputnik V):

In den Nachrichten aller Leitmedien, auch bei uns, starben plötzlich wichtige, kleine Worte wie „angeblich“, „vermeintlich“, „offenbar“ aus. Es hieß zum Beispiel in der Tagesschau, Twitter wolle „Falschinformation zu Corona“ künftig löschen. Da fehlt ganz eindeutig „angebliche“ oder „vermeintliche“ als Zusatz, denn so wird unterstellt, dass Twitter vollkommen zweifelsfrei beurteilen könne, was in Sachen Corona-Virus (oder generell) eine falsche und was eine richtige Information sei (MULTIPOLAR, 31. Jänner 2021)

Während die Pandemie schon zurückgeht, wie die WHO und zur Zeit nicht gefragte Virologen meinen, regieren Politiker vor allem in Deutschland und Österreich weiter im Panikmodus.

Wir dürfen gespannt sein, wie Regierende die Kurve kratzen, ohne für vermeidbare Kollateralschäden ihrer Maßnahmen Verantwortung zu übernehmen. Was immer sie in unterschiedlicher Weise getan oder unterlassen haben, die meisten werden sagen "Wir haben alles richtig gemacht".

Ob ihnen genug Wähler glauben, damit sie an den Hebeln der Macht bleiben, wird sich herausstellen. Nicht ausgeschlossen freilich, dass redliche Entscheidungsträger sich abnutzen und frustrierte Bürger Leuten auf den Leim gehen, die die Pandemie für ihre Zwecke missbrauchen.



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