Ein Tag in Quarantäne

30. 03. 2020

Die Tage sind einförmig geworden und haben ein Muster angenommen.

Im Vergleich zu verunsicherten Arbeitnehmern, gestressten Eltern mit schulpflichtigen Kindern und Menschen in engen Wohnverhältnissen aber ist unsere Situation undramatisch.

0600 - 0700

Nach dem Aufwachen der Griff nach dem iPad.

Beim Coronavirus Resource Center informiere ich mich über den aktuellen Stand der Pandemie weltweit und in einzelnen Staaten. Die Niederlande und jüngst auch Belgien haben Österreich in den Fallzahlen überholt.

Zur Frage, wie viele Menschen tatsächlich schon infiziert sind / waren und wie sich diese Infektion bei allen Infizierten auswirkt, gibt es immer noch keine belastbaren Zahlen. Am weitesten damit ist Island. Demnach zeigt die Hälfte aller Infizierten "keinerlei Symptome".

Ich überfliege die Schlagzeilen auf ORF, STANDARD, TELEPOLIS, ARD, WIENER ZEITUNG aber auch SPUTNIK, RT etc und klicke Artikel an, die mich interessieren. Bei der Suche nach kühlen, fachlich fundierten Texten hilft Google.

Auf WhatsApp finden sich zuweilen schon zu dieser Stunde Nachrichten von einem der Kinder oder von Bekannten. Manche enthalten Fotos oder Links zu interessanten Seiten. Am Beginn der Quarantäne sind zahllose Witze und Witz-Videos unterschiedlicher Qualität hin und hergeflimmert.

Das ist verebbt. Amüsant fand ich u.a.

There is a world shortage of masks due to the coronavirus

The Standard Foreigen Office response in a time of crisis

This is your pilot speaking

Self Isolation Exercise

Warum muss ich eigentlich noch Hausaufgaben machen

0700 - 0900

Frühstück. Wir sprechen über die aktuelle Lage, über die Situation in den Familien der Kinder, über notwendige Erledigungen. Eine unserer Töchter erspart uns das wöchentliche Einkaufen und versorgt uns mit Lebensmitteln.

N. ruft über Video an. Fröhlich winken uns die Mädchen zu und halten ihre Zeichnungen in die Kamera. S. kann schon Oma und Opa schreiben. - Schön, dass es WhatsApp gibt. Eine Umarmung ersetzt es nicht.

0900 - 1030

Der Rundgang. Wir leben auf dem Land und sind in der glücklichen Lage, dazu nicht Straßen und Parks aufsuchen zu müssen. Täglich legen wir etwa 4 - 5 km auf recht unterschiedlichen Strecken zurück. Der Abwechslung halber verlasse ich oft die Güterwege und wähle Pfade, die mir von der Jagd vertraut sind.

Welche Schäden der Borkenkäfer, der Sturm und der Schneedruck in den letzten Jahren angerichtet haben! Wunden in der Landschaft, die nur langsam heilen. Und weiter heult die Motorsäge: Der milde Winter hat dem Käfer nicht zugesetzt. Mit seinem Fraß hält die Aufforstung nicht Schritt.

1030 - 1230

Heute Pressekonferenz der Regierung. Am frühen Morgen schon hat OE24 dazu getitelt Wir müssen mindestens noch einen Monat durchhalten. Es werde eine Maskenpflicht in Supermärkten geben, frühestens Ende April dürfen Baumärkte öffen, dann sukzessive andere Branchen etc. OE 24 scheint gut informiert: der Kanzler verlautbart tatsächlich die Maskenpflicht, signalisiert aber - entgegen dem Bericht in OE24 - keinerlei Termine für eine schrittweise Lockerung der Restriktionen.

Eindringlich mahnt er das aktuell erforderliche Verhalten ein und spricht nur über unmittelbar bevorstehende Veränderungen. Ansagen darüber hinaus vermeidet er. - Clever.

Auch wenn alle Bürger das Bedürfnis nach Entspannung oder zumindest nach einem konkreten Planungshorizont haben, ist die Situation für die Entscheidungsträger offenbar nur über Tage hinweg handlungsrelevant beurteilbar. Sie halten Informationen über Optionen zu unterschiedlichen Szenarien zurück, um keine Ansagen aufgrund unerwarteter Entwicklungen / Wendungen zurücknehmen zu müssen.

So ist vorderhand offen, wie lange Wirtschaft und Gesellschaft gefesselt bleiben. Wohl gar bis zum Herbst? In diesem Fall wäre der ökonomische Schaden enorm und die Existenz vieler Menschen massiv bedroht. Ich tausche mich darüber mit CL aus. Er meint, dass die Entscheidungsträger dies wüssten und damit nicht zu rechnen sei.

1230 - 1600

Ich verrichte Küchenhilfsdienste. Heute bediene ich den Krauthobel.

Nach dem Mittagessen ein längeres Telefonat und Kommunikation über WhatsApp und Email mit zwei Freunden aus dem Club. Da auf Sicht keine Meetings mehr in unserem Restaurant stattfinden, ist für Gründonnerstag ein Meeting über Skype oder Zoom geplant. Bin gespannt wie das abläuft. Es erfordert wohl eine straffe Moderation und Disziplin bei den Wortmeldungen.

In der Quarantäne alle 100 Novellen des "Decamerons" zu lesen ist gewiss nicht originell aber lehrreich und unterhaltsam. Ich hab mir dazu die Ausgabe von Reclam mit den Holzschnitten der venezianischen Ausgabe von 1492 besorgt.

Seit ich in Pension bin, gönne ich mir ein Mittagsschläfchen und gehe abends spät zu Bett.

1600 - 1900

Nach dem Kaffee in den Garten. Vorgestern habe ich die Bonsais aus ihrem Winterquartier im Gemüsegarten geholt, frisch eingetopft und getaucht. Ich kontrolliere, ob die Erde noch feucht genug ist. Den Ginster, den ich setzen wollte, weil die alten Sträucher verkahlt sind, kann ich zur Zeit nicht besorgen. Bald ruft der Rasen nach dem Mäher.

Alle Bogenparcours sind gesperrt. Ich habe zwei Kartoffelsäcke mit dem zerschossenen Material der Lamellenzielscheibe gefüllt. Sie dienen als Ziel und Pfeilfang in einer Ecke des Gartens. Täglich etwa 50 Schuss, um nicht aus der Übung zu kommen.

Am Snooker-Tisch in der Dachkammer übe ich den Split mit Blau und spiele mangels Partner zwei Frames gegen mich selbst.

1900 - 2200

Frugales Abendbrot. Zunehmen will ich in der Quarantäne nicht. Dann Pflichttermin ZIB 1 und Tagesschau.

EUROSPORT hat in den letzten Tagen Zusammenfassungen von Endspielen der laufenden Snooker-Main-Tour gezeigt. Heute Biathlon und Radfahren. Damit kann ich nichts anfangen.

Wenn wir uns auf kein gemeinsames Programm einigen, wird der zweite Bildschirm im Erdgeschoß aktiviert. Gibt´s kein Snooker, suche ich auf ARTE oder SERVUS, ob ein Klassiker gespielt wird, jüngst etwa Melvilles "Eiskalter Engel" oder Fords "My Darling Clementine".

2200 - 2400

Den Tag lassen wir gemeinsam ausklingen. Da mir SO beim letzten Einkauf Vermouth mitgebracht hat, kann ich mir wieder einen Negroni mixen. Meine Frau bevorzugt ein Glas Wein.



HOME  COME IN
GARDEN  ARTICLES