ORF |
12. 1. 2020 "Wollen Sie einen Staatsfunk?" - unter diesem Titel referierte letzte Woche in meinem Club Herr Tarek Leitner über den ORF und über die Arbeit seiner Redakteure und Moderatoren. Mit dem Titel hat Herr L. Reform-Ansätze der gestürzten VP-FP-Regierung angesprochen, vor allem die Umstellung auf eine Steuerfinanzierung des ORF anstelle der bisherigen Rundfunkgebühren. Unter der neuen Regierung seien diese Absichten glücklicherweise obsolet geworden. In der Diskussion habe ich eingeworfen, dass der ORF so oder so der "Staatsfunk" sei. Sein oberstes Organ, der Stiftungsrat sei politisch beschickt. Kein Staatsbürger, der über eine Rundfunkanlage verfügt, kann sich der Finanzierung des ORF entziehen, gleichgültig, ob über Steuern oder über Gebühren. Der ORF sei allerdings nicht immer ein "Regierungsfunk" weil die Strukturen in der Regierung und im ORF nicht zu jedem Zeitpunkt synchronisiert sind. Herr Leitner schien überrascht und teilte meine Sicht auf den ORF nicht: Der ORF berichte über das Geschehen in Österreich und in der Welt nicht als Staatsfunk, sondern mit dem Anspruch auf hohe journalistische Qualität. Diesen Anspruch einzelner Redakteure will ich gar nicht bestreiten. Der Spielraum dafür ist im ORF wie in jedem anderen Medium jedoch begrenzt. Mit Bezug auf den ORF: Nicht alle Organe und Ausläufer des Staatsapparates sind gleich weit entfernt vom Zugriff der Regierung. Am weitesten entfernt sind wohl die Richter. Freilich: Dass zumindest Höchstrichter nicht ohne massive Beteiligung der jeweiligen Regierungparteien ernannt werden darf als bekannt vorausgesetzt werden. Der ORF hingegen ist außerordentlich politiknahe, obwohl er nicht zum unmittelbaren Staatsapparat gehört. Herr Leitner selbst hat im Lauf seines Referats beiläufig und ohne konkret zu werden erwähnt, dass aufgrund der neuen Regierung in der Organisation des ORF etwas "politisch austariert" werden müsse. Es muss nichts "austariert" werden, wenn dies keinen Einfluss hat auf die Themen, die die Redakteure aufgreifen, auf das Gewicht, das sie ihnen geben und auf die Art und Weise, wie sie diese Themen präsentieren: welche Aspekte halten sie für wichtig, welche fallen unter den Tisch, welche werden mit einem positiven, welche mit einem negativen Unterton anmoderiert / präsentiert. Für Organisationen und Institutionen, die nicht dem unmittelbaren Staatsapparat angehören, aber eng und einflussreich mit der Politik vernetzt sind, gibt es den Begriff des "tiefen Staates". Dieser Begriff ist umstritten. Das Establishment und seine Medien weisen ihn als gefährlich zurück. Wer sich selbst ein Bild über die Brauchbarkeit dieses Begriffs machen will, dem sei das Buch von Mike Lofgren empfohlen. Ich halte den Begriff des "tiefen Staates" für nützlich, um realpolitische Prozesse besser zu verstehen: Jede politische Partei / Bewegung ist bemüht, nicht nur Wahlen zu gewinnen und Positionen im unmittelbaren Staatsapparat zu besetzen (1). Sie will auch in wichtigen gesellschaftlichen Institutionen und Unternehmungen Personen ihres Vertrauens installieren. Um dabei erfolgreich zu sein, muss eine Partei allerdings längere Zeit Regierungsgewalt ausüben. Umgekehrt gilt: je stärker eine Partei auch außerhalb des Staatsapparates in einflussreichen Organisationen und Positionen Fuß gefasst hat, umso sicherer sitzt sie im Sattel. Auch wenn sie vorübergehend nicht an der Regierung beteiligt ist, bleibt sie einflussreich und wahrt ihre Chancen auf den Wiedergewinn unmittelbarer Machtausübung. Wie sie das macht? Sie kann mithilfe von Positionen im Verwaltungsbereich, in der Polizei, in den Geheimdiensten, in der Justiz und nicht zuletzt in den Medien und Kultureinrichtungen eine oft erfolgreichere Oppositionsarbeit betreiben als im Parlament, etwa durch gezielte "Leaks" und / oder Kampagnen gegen Personen oder politische Vorhaben. Das sind die Vorteile einer Partei auch bei Verlust der Regierungsgewalt. Aber es gibt auch Nachteile bei einer Rückkehr an die Macht. War die Vorgängerregierung lange genug am Ruder, hat sie mehr von ihren Leuten im Staatsapparat und im "tiefen Staat" untergebracht. Ist ein Richter einmal bestellt, ist er bestellt. Ist der Generaldirektor des ORF installiert, ist er installiert. Ein Wechsel in solchen Positionen ist nur nach Erreichen der Altersgrenze der Funktionsträger, beim Auslauf von Verträgen oder mit der politischen Brechstange möglich. Die politische Brechstange der Regierenden freilich ist nicht populär, wenn die Bedrängten sich als Opfer parteipolitischer Machenschaften präsentieren, obwohl sie selbst ohne Parteilichkeit nicht zu ihren Funktionen gekommen sind. Die Regierenden verzichten daher zuweilen auf die vorzeitige Auflösung von Verträgen etc, es sei denn, das lässt sich unter der Tuchent machen. So kann man verstehen, dass der ORF ein Staatsfunk ist, der zeitweise auch gegen eine amtierende Regierung arbeiten kann. Zum Regierungsfunk wird er, wenn die Regierungspartei / die Regierungsparteien so lange an der Macht ist / sind, bis sie ihn vollkommen unter Kontrolle gebracht haben.
(1) Die neue Regierung ist noch keine Woche im Amt, schon berichtet der STANDARD: "Den Grünen winkt ein Chefposten in der FMA" |
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