Nationalismus

18. 11. 2018

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben anlässlich des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs vor einem Rückfall in den Nationalismus gewarnt. "Patriotismus ist das genaue Gegenteil von Nationalismus. Nationalismus ist Verrat am Patriotismus", sagte Macron bei den zentralen Gedenkfeierlichkeiten vor rund 70 Staats- und Regierungschefs in Paris [NTV 3.11. 2018]

Patriotismus soll das "genaue Gegenteil von Nationalismus" sein? Ausgerechnet der Präsident der "Grande Nation" behauptet das?

Lassen wir uns von Phrasen nicht benebeln: den guten Patriotismus vom bösen Nationalismus zu unterscheiden ist ein recht künstliches Unterfangen.

Sozialpsychologische Studien des 21. Jahrhunderts legen nahe, dass die Unterscheidung zwischen gutem Patriotismus und kritikwürdigem Nationalismus oder Chauvinismus keine Grundlage in der Realität hat. Der Jenaer Psychologe Christopher Cohrs kommt zu dem Ergebnis: „Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand.“ [Wikipedia]

Woher kommt aber dann das Bedürfnis zu dieser dürftigen Unterscheidung und welchen Zwecken dient sie in der gegenwärtigen politischen Situation?

Nationalismus und Imperialismus

So weit ich sehe, hat nicht "der Nationalismus", sondern haben imperialistische Ambitionen einzelner Nationen den Ersten und Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die Bezeichnung "Nationalismus" ist diskreditiert, seit imperialistische Ambitionen der deutschen Nation unter Führung von "Nationalsozialisten" am Widerstand anderer Nationen gescheitert sind.

Die Zeiten, in denen imperialistische Ambitionen sich des Nationalismus bedienten, sind seit dem Sieg der Allierten über Hitler-Deutschland vorbei.

Von 1945 bis 1989 bestimmte der West-Ost-Konflikt die Weltpolitik im Kampf um Einfluss und Macht in der "Dritten Welt". Der US-Imperialismus trat dabei nicht als Eroberer auf, sondern "internationalistisch", d. h. als "guter Hegemon" unter der Fahne der Menschenrechte, der Freiheit und der Demokratie.

Wie angesehen und willkommen ein Bürger der US-Siegernation nach 1945 in der westlichen Hemissphäre überall war - das ist die Botschaft vieler Unterhaltungsfilme aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. - Der hervorragend vermarktete Militärdienst von Elvis Presley in Deutschland (1958 - 1960) trug dazu bei, dass junge Menschen die US-Soldaten im Unterschied zu ihren Eltern nicht als Besatzer, sondern als Befreier und Beschützer wahrnahmen (vgl. dazu die Aussagen von Zeitzeugen in dem Beitrag des NDR ab 00:16:30) - Im Travelin' Man von Ricky Nelson (1961) prahlt ein Globetrotter aus den USA mit den Eroberungen, die er im Einflussbereich des US-Imperiums gemacht hat und sonnt sich im Gefühl, dass hübsche Mädchen in Mexico, Alaska, Berlin, Hongkong und Honolulu sehnsüchtig auf seine Wiederkehr warten.

Auf der anderen Seite wurde der Kampf gegen den US-Imperialismus auch "internationalistisch" geführt: die Sowjetunion und China als führende Mächte des Kommunismus haben weltweit "Befreiungskräfte" unterstützt, die sich den USA nicht unterordnen wollten (Kuba, Vietnamkrieg etc).

Weltweiter Sieg des Kapitalismus

Der Bankrott des Sozialismus 1989 ließ die USA als einzig verbliebene Weltmacht erscheinen. Der Kapitalismus, jahrzehntelang auf den "Westen" beschränkt und scheinbar gezähmt ("Soziale Marktwirtschaft") warf seine Ketten ab und dehnte sich weltweit aus:

Die kapitalistische "Globalisierung" - im 19. Jahrhundert bereits vorangekommen, dann durch Sozialismus und Faschismus unterbrochen und gehemmt - startete fulminant neu.

Die hässlichen Seiten dieses Prozesses traten sofort auf (Ende der Sozialen Marktwirtschaft im Westen, Verelendung in vielen ehemals sozialistischen Ländern), schienen aber im Rausch des weltweiten Wachstums rasch überwindbar.

Renaissance des Nationalismus?

Diese Erwartung hat sich als überhöht erwiesen: nach und nach wurde / wird deutlich, dass vor allem eine elitäre Minderheit von der kapitalgesteuerten Globalisierung profitiert. Beträchtliche Teile der Bevölkerung hingegen fühlen sich von der Entgrenzung der Welt im Dienst frei flottierenden Kapitals unter Druck gesetzt.

Das Kapital entzieht sich seit 1989 jeder politischen Kontrolle. Rastlos auf der Suche nach seiner besten Verwertung führt es zu oft rasanten, unvorhersehbaren Verlagerungen von Arbeitsplätzen und Veränderungen von Lebenschancen, begünstigt Migrationsströme, die die Beteiligten auf beiden Seiten unter Druck setzen: jene, die Arbeit und Wohlstand im Ausland suchen (müssen) und jene, denen sie Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt machen und deren Preis für Arbeitskraft sie drücken.

Der Widerstand gegen diese Auswirkungen der Globalisierung ist nicht "internationalistisch" und kann es zumindest derzeit nicht sein: der "Sozialismus" ist kein glaubhaftes Narrativ mehr und ein anderes "internationalistisch" ausgerichtetes kapitalkritisches Narrativ ist außer Sicht.

So werden die Menschen in ihrer Hoffnung auf die Nation / die regionale Identität zurück geworfen: nur auf nationaler / regionaler politischer Ebene haben die Menschen noch das Gefühl, Einfluss nach ihren Interessen ausüben zu können.

Nationalismus - ein Killer-Argument der Neoliberalen

Das Beharren auf regionaler / nationaler Selbständigkeit in einigen Politikfeldern (Sozialpolitik, Migration) steht den Interessen des frei flottierenden Finanzkapitals entgegen.

Die Advokaten der neoliberal instrumentierten Globalisierung brandmarken daher den "Nationalismus" und seine "Kleingeistigkeit" als gefährlichste Feinde von Freiheit, Fortschritt und Wohlstand. Sie etikettieren national / regional orientierte Politik als "populistisch" und stellen sie mithilfe der Lohnschreiber in ihren sogenannten "Qualitätsmedien" ins dümmliche, ins rechtsextreme Eck.

Das ist falsch.

"Nationalisten", die etwa den Binnenmarkt und / oder die Reisefreiheit innerhalb der EU ablehnen, wird es kaum geben.

Sehr viel mehr Leute aber gab / gibt es, die Vorbehalte gegen die überstürzte, NATO-gesteuerte Erweiterung der EU, gegen die übereilte Freigabe der Arbeits-Migration, gegen die Überdehnung der EUROZONE oder gegen die ungesteuerte Einwanderung aus Kleinasien und Afrika hatten / haben.

Die europaweit spürbar gewordene EU-Skepsis ist nicht borniert "nationalistisch". Sie wurde / wird vielmehr provoziert von einer neoliberal ausgerichteten EU-Nomenklatura, die auf regionale / nationale Interessen keine Rücksicht mehr nehmen will und solche Interessen anhaltend als dümmlich, rückschrittlich, populistisch oder als rechtsextrem denunziert.

Nach meiner Meinung hat zB die neoliberale Elite Großbritanninens durch die übereilte Freigabe der Arbeits-Migration (im Unterschied etwa zu Österreich und anderen EU-Ländern) eine Voraussetzung für das bedauerliche BREXIT-Votum geschaffen.

Nach 1945 sind die Initiatoren der europäischen Integration einer weisen Vision gefolgt. Um Hegemonie sollte in Europa nicht mehr gekämpft werden. Eine allmähliche ökonomische Integration sollte langfristig die politische Union ermöglichen.

Mit dem von der EU mitgetragenen NATO-Krieg gegen Jugoslawien, mit der überstürzten Osterweiterung und einer politisch motivierten Überdehnung der EURO-Zone hat die EU den Weg der Geduld verlassen und sich große innere Widersprüche eingehandelt. Das rächt sich. Dazu kam der lang anhaltende Unwille der EU-Nomenklatura, die islamisch/afrikanische Masseneinwanderung zu stoppen.

Die EU-Skepsis und das Wiedererwachen des Nationalismus hat die EU sich selbst zuzuschreiben.



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