Umkämpfter Richtungswechsel

24. 08. 2018

Die Stippvisite des russischen Präsidenten bei Frau Kneissls Hochzeit und der Knicks der Frau Außenministerin nach einem Tänzchen mit Putin haben bebende Empörung bei Politikern und Kommentatoren ausgelöst.

Wer Putin nicht als Aussätzigen behandelt oder gar für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland eintritt, muss mit den heftigsten Verdächtigungen und Angriffen rechnen.

Sie kommen von Politikern und Lohnschreibern, die Russland nach dem Ende der bizarren Jelzin-Jahre wieder zum Erzfeind des "Westens" erklärt haben. Wer ihr Narrativ nicht teilt, das im wesentlich das Narrativ der NATO ist, wird als dumm, irr, Autokraten-Freund, Putin-Troll und / oder als Feind der Demokratie angeprangert.

Dennoch:

Fast die Hälfte der Österreicher und Österreicherinnen stößt sich nicht am Verhältnis der Bundesregierung zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique research für das Magazin „profil“ hervor (500 Befragte). 46 Prozent beurteilten den Umgang der Regierung mit Putin in der Befragung als „gerade richtig“. 33 Prozent meinten, die Regierung solle stärker auf Distanz gehen (ORF-ONLINE 25. 8. 2018)

In das Feindbild des NATO-Narrativs, das sich die EU zu eigen gemacht hat, fügen sich auch Bürger, die als Nationalisten, Rassisten und Ausländerfeinde bezeichnet werden, weil sie das bisherige Laissez-faire der EU in der Migrations-Politik nicht mehr mittragen. Als die Zuwanderung nach Europa 2015 geradezu explodierte, die Union jede Kontrolle darüber verlor, ja, offenbar nicht einmal anstrebte, ging das angewachsene Unbehagen mit diesem Prozess in Protest und Widerstand über.

Die Vorstellung, die EU aus einer Union von Nationalstaaten in den Staat einer westeuropäischen Super-Nation zu verwandeln, hat nicht zuletzt aus diesem Grund wenig Anhänger. Das Einverständnis der Bevölkerung mit der vorherrschenden Politik der EU / des "Westens" hat an Selbstverständlichkeit eingebüßt.

Die Ursachen dafür entspringen offenbar Veränderungen, die nach 1989 eingetreten sind:

Nach dem Bankrott des Sozialismus 1989 hat der Kapitalismus nicht nur die Fesseln abgestreift, die der Kommunismus ihm geopolitisch gesetzt hat. Er hat auch Einschränkungen über Bord geworfen, die er sich während des Kalten Krieges in Form der "Sozialen Marktwirtschaft" hat gefallen lassen, um attraktiver für die Menschen als der konsum-karge Sozialismus zu sein.

Zur Erosion der "Sozialen Marktwirtschaft" beigetragen haben u. a. die Auslagerung von einst gut bezahlten industriellen Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer und das ungehemmte Einströmen billiger Arbeitskräfte in umgekehrter Richtung:

Längst decken sie nicht nur den Mangel an Arbeitskräften in einigen unattraktiven Berufen ab. Sie drücken vor allem den Preis der Arbeitskraft. Das liegt im Interesse von Arbeitgebern, aber nicht im Interesse von Arbeitnehmern. Bis tief in die Mittelschicht erweisen sie sich als Verlierer der Veränderungen nach 1989:

Indikatoren dafür sind

a) das gesunkene Realeinkommen und die niedrigere Sparquote

b) der sinkende Anteil mittlerer Einkommen und der steigende Anteil niedriger und hoher Einkommen

c) die wachsende Einkommensungleichheit

d) die extrem gewordene Vermögensverteilung.

Dazu kommen teure politische und militärische Aktionen des Westens, deren Nutzen für viele Bürger nicht einsichtig ist: die politisch motivierte, überstürzte Osterweiterung der EU, der lange und erfolglose Krieg in Afghanistan, die erfolgreiche Devastierung Libyens, die Unterstützung islamistischer Terroristen in Syrien oder die ökonomisch kontraproduktive Konfrontationspolitik gegenüber Russland.

Dieser Mix an wohlstandsmindernden Tendenzen provoziert in einstigen Kernländern der Sozialen Marktwirtschaft Unbehagen und Widerstand.

Widerstand äußert sich allerdings nicht in einer Resurrektion des Sozialismus - dessen Nachteile sind noch in bester Erinnerung - sondern eher im Beharren auf subsidiär organisierter Selbstbestimmung, wenn übergeordnete Strukturen versagen. Die Gegner dieser Tendenz beschimpfen sie als "Wiedererwachen des Nationalismus".

Diese Tendenz schlägt sich in Wahlergebnissen nieder, die von Profiteuren und Ideologen der Entwicklungen nach 1989 unerwünscht sind und die sie mit allen Mitteln bekämpfen.

In welche Richtung wird die Resultante der beiden auseinanderstrebenden Vektoren in den nächsten Jahren ausschlagen? Wenn die Auseinandersetzung friedlich bleibt - so vermute ich - wird der Prozess der Globalisierung gebremst und kontrollierter ablaufen als bisher.



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