27. November 2006

[Gams bei Hieflau] Am Morgen mit dem Landcruiser von einem Schlag zum anderen, dann auf Pirsch über Stock und Stein bis zur Dämmerung. Gehört und gesehen haben wir zwei Auerhähne, aber keine Gams. Keine einzige Gams.

Dass er an einem ganzen Tag im Revier so wenig Anblick hat, ist selten. Rudl, der Pirschführer, kann sich nicht erinnern, wann ihm das zuletzt passiert ist.

Sein Partner, in dessen Hütte wir zum Abschluss ein Bier getrunken haben, hat unseren Misserfolg mit dem ungewöhnlich warmen Wetter erklärt: "Leg du was Schwarzes an und stell dich in die Sonn!" Die bereits verfärbten Gams seien an diesem Spätsommertag im Wald und in den schattigen Klüften geblieben.

Seither ist ein Monat vergangen. Schnee, Regen und Nebel haben es ratsam erscheinen lassen, mit einem neuen Versuch zuzuwarten.

Heute habe ich zur Anfahrt die Pyhrnautobahn gewählt. Die Hoffnung, die längere Strecke durch zügigere Fahrt auszugleichen endet vor dem Bosruck. Zwanzig Minuten Stau wegen Bauarbeiten.

Bei Admont wird es hell. Bis Hieflau bin ich fast allein unterwegs. Ungezähmt tost und schäumt die Enns unterhalb der Straße. Der Fluss stürzt auf dieser kurzen Strecke über ein Gefälle von 150 Metern. Wer das hört und sieht versteht, woher "das Gesäuse" seinen Namen hat.

Gegen 0730 Uhr treffe ich endlich in Gams ein. Rudl packt seinen Rucksack und die Stöcke in den Landcruiser. Wenige Minuten später passieren wir den Schlagbaum zum Revier.

Wieder fahren wir zunächst die unteren Steilhänge und Schläge ab. Kein Anblick. Über der Nebelgrenze ein strahlend blauer Himmel. Der in den letzten Wochen reichlich gefallene Schnee ("achtzig Zentimeter") hat dem Föhn der letzten Tage nur im Schatten standgehalten. In der Nähe der Jagdhütte parken wir den Wagen und steigen durch den Wald auf.

"An diesem Sitz sind mir letzte Woche drei Hirsche gekommen" flüstert Rudl. "Keine zwanzig Meter weit sind sie im Schnee an mir vorbeigezogen". Der verschneite Schlag gegenüber erfordert eine Schussweite von 200 bis 300 Meter. Aber auch nach einer halben Stunde bleibt es rundum still und reglos. Wir ziehen weiter.

Immer seltener können wir den knirschenden Schneeflecken ausweichen. Wir nähern uns dem "Stangl", dem höchsten Punkt des Reviers. Rudl setzt Schritt für Schritt mit äußerster Vorsicht und ich tue es ihm gleich. Auf dem Hochsitz, den er ansteuert, sind wir das letzte Mal im Hemd gesessen.

Bevor er austritt, glast Rudl den Gegenhang ab, erstarrt und hebt die rechte Hand. Ich friere meine Bewegung ein.

"Genau gegenüber ein passendes Stück --- ein alter Bock" flüstert er. Ich hebe das Glas, aber ich sehe durch die Zweige vor uns nur Felsen, Latschen und Schnee.

"Du mußt zum Sitz vorgehen" drängt Rudl. In Zeitlupe bewege ich mich an ihm vorbei auf die Leiter zu, streiche an und suche das Gegenüber mit dem Zielfernrohr ab. Endlich sehe ich, was Rudl sieht. Ein Stück steht in den Felsen breit und äugt in meine Richtung. 120 bis 140 Meter. Ein Bock? Wenn Rudl es sagt.

Keine Auflage für den Schussarm. Ich rutsche zwei Sprossen tiefer, will den Ellbogen auf das Knie stützen. Da gleitet der angelehnte Stock von der Leiter ab und fällt in den Schnee.

Der Bock wirft auf, wendet sich um 180 Grad, zieht zögernd auf die nächste Latsche zu. Jetzt oder nie. Ich ziehe das Züngel durch.

Er zeichnet, kullert den Hang herunter, verfängt sich an einem Wurzelstock, versucht sich hochzurappeln. Ich habe repetiert und lege erneut an, aber ein zweiter Schuss erübrigt sich. Er sackt zusammen und bleibt reglos liegen.

Wir stapfen durch die verschneite Senke zum Gegenhang. "A so alter Bock! A so a Auslag!" ruft Rudl aus und beginnt die Ringe zu zählen. "...12, 13, 14!" Dann wird er stutzig und zieht die Hinterläufe auseinander. "Na geh! A Goaß! A kapitale, gelte Goaß!"

Jetzt bin ich doch ein wenig enttäuscht. Zugleich aber bestätigen die trockenen Zitzen meinen Eindruck beim Visieren. Den Aufbruch lassen wir dem Fuchs. Das Bringen wird durch den Schnee sehr erleichtert.

Eine Stunde später sitzen wir vor der Hütte. Wir haben alle Zeit der Welt. "Am Stangl" sei der stark verkürzte lokale Ausdruck für "am Steinkogel" erklärt Rudl mir den Namen des Abschussorts. Wir stoßen mit Tullamore Dew auf den Jagderfolg an, essen unsere Sandwiches und genießen die Mittagssonne.

Rudl erzählt von sonderbaren und von geh-faulen Jagdgästen, von gräflichen Pächtern und von Festen, die in dieser Hütte schon gefeiert worden sind. Der frühere Forstmeister habe die Rehe im Revier ausgerottet und hätte es beinahe auch bei den Gams geschafft. Ein von ihm angeheuerter Jäger habe innerhalb von 14 Tagen 19 Gams erlegt.

Am Abend, als ich wieder zuhause bin, ruft Rudl an. Der neue Forstmeister habe beim Anblick des Hauptes auch zuerst ausgerufen "Jo, wos hobts denn ihr firan Bock gschossn!"Dann habe er die 14 Jahre der Gais bestätigt und die Schläuche vermessen. 92 Punkte.


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